Bei meiner Schwester

25.02.2003

Es ist nicht so, als käme es plötzlich, aber irgendwie unvorbereitet bin ich dann doch. Seit gut einem Jahr habe ich diese Reise geplant, viele Stunden mit den Vorbereitungen verbracht,  ganze Abende voller Vorfreude über Landkarten gesessen und Pläne geschmiedet. Oft fragte ich mich, was ich in diesem ersten Augenblick der Reise wohl fühlen würde. Und nun weiß ich es -  denn an diesem Tag im Februar sitze ich erst einmal mit starkem Durchfall auf dem Klo.

Hoffentlich werden mir die zwei Kapseln Imodium, die ich nehme, den Flug nach Vancouver erträglich machen. Wenig später bin ich dann im Auto meines Freundes und werde zum Flughafen gefahren. Vor mir liegen 10 Wochen Nordamerika per Motorrad. Ein Traum, den sicherlich Viele haben, sich aber nur Wenige erfüllen.

Dabei wäre beinahe alles anders gekommen. Noch vor wenigen Tagen lag ich in Saudi Arabien im Krankenhaus. Die Ärzte diagnostizierten eine Niereninfektion. Starke Schmerzen und Durchfall ließen meine Nordamerika-Etappe in weite Ferne rücken. Aber - alles kommt halt so, wie es kommen soll. Wie hätte es auch anders sein können? Die Ausrüstung ist gekauft und die Koffer sind gepackt. Alles geregelt und von langer Hand geplant. So gab man mir Spritzen und Tabletten und päppelte mich wieder auf. Was für ein Omen ist das, wenn eine Reise mit Hindernissen beginnt?

 

Auch meine Sitznachbarin im Flugzeug hat Einiges vor. Angeregt unterhalten wir uns über unsere Pläne. Marion wird in Los Angeles studieren. Sie war noch nie in Nordamerika, ist ganz aufgeregt, was da wohl auf sie zu kommt. Wir reden, tauschen Adressen aus und bevor wir uns versehen, landen wir auch schon wieder. Ein besonderes Gefühl habe ich nicht. Soll man sich nicht wahnsinnig freuen, wenn man dabei ist, sich einen Traum zu erfüllen? Im Moment freue ich mich eigentlich nur über die Tatsache, dass die Pharma-Industrie es geschafft hat, mir diesen Flug zu ermöglichen. Die Pillen wirken tatsächlich.

Ich stehe am Kofferband und warte als Letzter vergeblich auf mein Gepäck. Es ist in Frankfurt geblieben, wird hoffentlich morgen an die Adresse meiner Schwester in Abbotsford nachgeliefert. Das ist mir nur recht, denn ich hätte sonst unter Wildrich Weltreise meine KLR beim HändlerUmständen Ärger mit dem kanadischen Zoll bekommen...........

Der Flughafen von Vancouver wurde vor einigen Jahren saniert und hat seitdem einen kleinen Park. Bäume, Vögel und ein Teich laden zum Verweilen ein. Es ist schon fast zum Ritual geworden, dass ich mich dort und nicht im Flughafengebäude mit meiner Familie treffe. In den letzten paar Jahren bin ich öfter mal bei meinen Eltern in Kanada. Ich hatte das vernachlässigt und erst nach einer schlimmen Krankheit meiner Schwester  Frauke geändert.Wildrich Weltreise meine Schwester Frauke

Fraukes Krankheit war mit ein Grund, eine Weltreise zu planen. Ein Wunsch war es schon lange, aber ich brauchte diesen Schuss vor meinen Bug, um Bewegung in meinen Plan zu bringen. Dieser Trip ist ein Traum von mir. Ein Teil meines Lebens, für den ich schon lange geübt habe. Viele Jahre habe ich Reisen an die unterschiedlichsten Orte der Welt gemacht, aber ein Abenteuer wie dieses war es nie. Per Motorrad und Zelt durch die USA, Kanada und andere Kontinente, das ist selbst für mich schon was Besonderes.

Die Freude ist groß, als Frauke und ich uns schließlich in den Armen liegen. Gemeinsam werden wir ein paar Tage in ihrem Appartement verbringen, bevor ich mich auf den Weg in Richtung Süden mache.

Noch am ersten Tag fahren wir zu einigen Motorradhändlern. Sofort finde ich ein passendes Modell, aber etwas stimmt nicht ganz. Ich kann das nicht gut in Worte fassen. Der Kauf eines Motorrades ist sehr persönlich. Ganz anders als bei einem Auto. In meinem Fall kommt noch hinzu, dass ich mit meinem Motorrad um die Welt fahren will. Da soll und muss es ein ganz bestimmtes sein. Also geht es weiter zum nächsten Händler.

Zwei Minuten vor Ladenschluss werden wir fündig. Ganz in der Nähe von Fraukes Wohnung hat ein Kawasaki-Dealer meine Enduro. Ist es das Licht oder die Stimmung? Wieso muss es ausgerechnet diese sein? Kann eine Maschine wirklich so lebendig auf mich wirken? Der Geruch von Gummi und Stahl passt. Sie fühlt sich gut an, liegt souverän in meinen Händen. Man mag mich für bescheuert halten, aber ich bilde mir ein, wir kommunizieren miteinander. Den Motor brauche ich nicht mehr zu starten. Wie soll er sich auch schon anhören? Diese hier ist es, da bin ich sicher. Ich werde morgen wiederkommen und den Kauf klar machen.

Als ich ein paar Stunden später dann im Bett liege, kann ich nicht einschlafen. Zu groß ist die Freude und die Erwartung auf die nächsten Wochen. Ich bin wirklich hier, werde wirklich fahren!

Ich weiß es noch nicht, kann es nur erahnen - es sollen 22.000 km Abenteuer werden.

26.02.2003

Handeln nützt nur wenig. 7.006,25 kanadische Dollar zahle ich. Inklusive aller Kosten wie Steuern und auch ein paar Extras, zum Beispiel der etwas größeren Windschutzscheibe. Selten habe ich an einem Tag so viel Geld ausgegeben. Hinzu kommen noch 447 $ für die Versicherung. Alles hat Hand und Fuß. Ich habe die KLR 650 A mit kanadischen Nummernschildern zugelassen und versichert. Das Kennzeichen der Provinz British Columbia bekomme ich vom Versicherungsbüro.  Morgen in aller Früh hole ich dann die Maschine ab. Die Batterie muss heute noch geladen und der Motor gewartet werden. Da will ich keine Hektik aufkommen lassen. Das darf ganz in Ruhe geschehen.

So bleibt noch ein ganzer Tag für meine Schwester und mich. Wir kaufen gemeinsam ein, reden viel, kochen und gehen abends spazieren.

Seit ein paar Jahren studiert Frauke nun Soziologie. Schon vor ihrer Krankheit fing sie an, aber ich habe das Gefühl, dass sie es jetzt ernster nimmt. Sie hat bereits Vieles im Leben erreicht, trotzdem war ich bisher immer der Meinung, sie lebe unter ihrem Potential. Ich freue mich, dass dies nun anders ist.

So langsam mache ich mich mit dem Gedanken vertraut, dass ich nun wirklich hier bin. “Unterwegs” nach all' der Planung. Da der Durchfall nachlässt, mache ich mir auch keine großen Sorgen mehr um meine Gesundheit.

Meinem Arbeitgeber war es recht, mich auf Zeit gehen zu lassen. Ich habe drei Monate frei bekommen in diesem Jahr. Unbezahlter Urlaub. Nur so kann ich es mir leisten, die Welt zu sehen. Jedes Jahr ein paar Monate. Natürlich wäre es mir lieber, die Reise am Stück zu machen, aber das geht schon finanziell nicht. So sieht dann der Plan für Februar/Marz 2003 folgendermaßen aus:

Von Vancouver aus geht es, immer der Pazifikküste entlang, in Richtung San Francisco und Los Angeles. Dort werde ich mich in etwa zwei Wochen mit meinem deutschen Kumpel Klaus treffen. Gemeinsam fahren wir dann mit zwei Motorrädern quer durch den Süden der USA bis Florida, wo ich Klaus  verabschieden werde. Im Zickzackkurs will ich dann in etwa 10 Wochen wieder hier bei Frauke sein, um danach ein paar Tage später meine Eltern zu besuchen. Sie wohnen etwa 700 km nördlich von Vancouver in einer kleinen Stadt namens Quesnel.

Dann muss ich auch wieder nach Hause, die Arbeit ruft. Später im Jahr, so gegen Mitte Juli, will ich wiederkommen. Es soll dann eine Fahrt durch Kanada folgen.

Spät am Abend kommen auch meine Motorradkoffer per Post. Sie sind unversehrt, haben den Flug auch ohne mich überstanden.

27.02.2003

Ich sagte es gestern schon. Ein Motorrad ist etwas sehr Persönliches. Ich denke, andere Motorradfahrer können mir da beipflichten. Wenn man das erste Mal den Startknopf drückt, voller Erwartung, wie es sich anhören wird, und die Maschine dann zum Leben erwacht, das ist schon was ganz Besonderes.

Wird sie beim ersten Mal starten? Ist die Luftklappe richtig justiert? Ja, der Motor ist sofort da. Schnurrt auf Anhieb wie eine Nähmaschine. Welch ein Gefühl!

Auf einem nahegelegenen Kirchenparkplatz übe ich erst einmal ein paar Runden. Anfahren, mit der Kupplung spielen, schalten, bremsen, auf dem Punkt stoppen. Langsame Kurven und Schrittgeschwindigkeit. Alles klappt so, wie ich es erwartet hatte. Eine Gruppe älterer Herren schaut mir zu. Ich lächeln und feuern mich an. Sicherlich würden sie auch gerne mal..... Nach wenigen Minuten wage ich mich auf die Straße. Im Berufsverkehr der Stadt fließe ich gut mit. Immer ein kleines Bisschen schneller als der restliche Verkehr. In aufrechter Positur throne ich auf meiner Kawasaki, habe alles im Blick.

Zweiter Gang, dritter... Schon ist man ungewollt schneller, als es die Polizei oder mein Budget erlauben. Ich tanke zum ersten Mal. 22 Liter gehen rein. Damit sollte ich zwischen 400 und 500 km weit kommen.

Als ich unter Fraukes Balkon herfahre, kommt sie raus und macht ein paar Fotos. Ich glaube, ein recht uneitler Mensch zu sein, aber in diesem Augenblick fühle ich mich dann doch ganz groß!

Ich parke in der Tiefgarage des Appartementkomplexes.  Der Motor knackt, ist heiß, als ich ihn ausschalte. Noch das eine oder andere Mal gehe ich im Laufe des Abends runter, um nach der Maschine zu schauen.

Nur mit Mühe kann mich Frauke dazu überreden, noch ins Kino zu gehen. Ich könnte auch genau so gut ein Stuhl vor meine Kawa stellen und starren. Sie schafft es dann doch und ich muss sagen, Jack Nicholson ist in seiner Rolle des Versicherungsvertreters Schmidt grandios.

28.02.2003

Heute gibt es noch ein paar wichtige Dinge zu erledigen. Zuerst muss der Mietwagen, welcher mich vom Flughafen nach Abbotsford gebracht hat, wieder zum Flughafen. Auf dem Weg dahin will Frauke dann noch bei IKEA vorbei. Da sie seit ihrer Gehirnblutung nicht mehr selbst Auto fahren darf, komme ich als Chauffeur sehr gelegen.

Später geht es dann in die Stadt. Ein quirliger Chinese repariert dort für 20 Dollar meine Spiegelreflexkamera. Keine 5 Minuten braucht er und ermahnt mich, meine Minolta bloß nie zu verkaufen. So eine Qualität gäbe es heute nur noch für sehr viel Geld. Heutige Modelle seien aus Plastik und geklebt. Sogar die Linsen wären aus Kunststoff, sagt er. Das sei überhaupt nicht zu vergleichen mit meinem alten Metallgehäuse und der herkömmlichen Mechanik.

Zusätzlich zu dieser herkömmlichen Kamera habe ich noch eine Digitale dabei. Ich will versuchen, viele Fotos zu machen. Das ist etwas, was ich in der Vergangenheit versäumt habe. So bin ich mehrere Jahre hintereinander durch Asien gereist, ohne zu fotografieren. Jetzt bereue ich das.

Die schöne Innenstadt von Vancouver ist mir seit meiner Kindheit vertraut. Gerade 16 Jahre alt und mit einem eigenen Führerschein ausgestattet, habe ich während meiner Jugend hier einige Wochenenden verbracht. Weg von den Eltern, der Pflicht und der provinziellen Umgebung, in der ich aufgewachsen bin.

Vieles hat sich seitdem verändert. Heute prägen vor allem Asiaten das Gesicht der Stadt. Die Menschen sind viel modebewusster als früher. In den 80er und 90er  Jahren kamen viele Einwanderer aus Hong Kong und auch Indien. Ich freue mich zu sehen, dass - anders als in den USA - gemischte Paare keine Seltenheit sind. Asiatische Mädchen halten Händchen mit kaukasischen Jungs. Man geht ungezwungen miteinander um, tauscht Zärtlichkeiten aus, hält Händchen in den Parks, zwischen den Hochhäusern.

Downtown sieht man jetzt viele Straßenkaffees. Starbucks und Co. An jeder Ecke. Glasfassaden und Grünflächen prägen das Bild. Eine angenehme Kombination aus hektischem Treiben der Geschäftsleute und der Gelassenheit der Studenten in den Parks. Junge Pärchen picknicken auf den Wiesen, Hunde laufen Frisbees hinterher und Kinder kreischen durch die Gegend.

Noch mehr als früher ist dies eine Stadt der Jugend. Skate-boarder flitzen über die Bürgersteige, wedeln um Passanten und Bäume. Grün ist es zu dieser Jahreszeit schon! Im weltbekannten Stanleypark  promenieren Rentner und gesundheitsbewusste Kanadier joggen um die Wette.

Später am Nachmittag machen wir uns wieder auf den Weg zu Fraukes Wohnung. Per Eisenbahn ziehen wir uns aus dem Stadtzentrum zurück.

Abends mieten wir das Video  “Bowling for Columbine” von Michael Moore. Eine Offenbarung für mich. Wusste ich doch nur sehr wenig über die unterschiedlichen Entwicklungen der USA und Kanada;. aber darauf gehe ich später noch mal detaillierter ein.

Erst spät am Abend finde ich Zeit, doch noch eine Runde Motorrad zu fahren. Mit zittrigen Händen gehe ich schließlich ins Bett.

02.03.2003

Morgens gegen 9 Uhr lande ich auf der Autobahn nach Vancouver erst einmal im Stau. Heute will ich gemeinsam mit einem Freund meiner Eltern einige Veränderungen an meine Motorrad vornehmen. Helmut, der schon seit vielen Jahrzehnten in Kanada wohnt, kommt ursprünglich aus dem Ruhrgebiet und hat seine fröhliche, hilfsbereite Art in Kanada behalten.

Er ist handwerklich begabt und hat in seinem Leben schon viele verschiedene Arbeiten verrichtet. Ich erinnere mich daran, dass meine Eltern einmal sagten, er habe bei der Eisenbahn gearbeitet, in einer Goldmine und auch als Elektriker. Jedenfalls hat er die notwendigen Kenntnisse und auch Werkzeuge, um mir zu helfen, ist selber auch Besitzer einer Suzuki.

Die Teile, welche an meine Motorrad verbaut werden sollen, habe ich schon aus Deutschland mitgebracht. Mein Motorrad, eine Kawasaki KLR 650 A, ist ein altgedientes Modell. In Nordamerika wird es seit 1987 mehr oder weniger unverändert verkauft. Von einem Jahr aufs andere wird immer mal wieder das Farb-Schema gewechselt, aber die ausgereifte Technik bleibt die gleiche. Mittlerweile ist es das meistverkaufte Motorrad Nordamerikas in seiner Klasse.

Auch in Deutschland wurde dieses Modell einige Jahre verkauft, hat aber auf Grund starker Konkurrenz japanischer und europäischer Hersteller nie den Marktstellenwert erreicht wie in Nordamerika. Allerdings gibt es aus dieser Zeit immer noch viele neue und gebrauchte Ersatzteile und auch Zubehör. Da ich die Reise schon seit über einem Jahr plante, hatte ich reichlich Gelegenheit, Kataloge zu studieren, mich mit Besitzern dieses Typs zu unterhalten und preiswerte Zubehörteile zu kaufen bzw. zu ersteigern.

So habe ich beispielsweise den Gepäckträger für meine beiden Koffer für wenig Geld bei eBay ersteigert, einen gebrauchten Hauptständer bekam ich schon für 30 EUR und meinen neuen Helm für 40.

Ausgerüstet mit einer großen Tasche Zubehör schaffe ich es schließlich doch noch durch den starken Verkehr bis zu Helmuts Haus. Dort angekommen, begrüßt mich die Familie und sofort gehen wir ans Werk, montieren den Ständer, die Koffer und neue Blinker.

Ganz der deutsche Handwerker, nimmt Helmut die Sache sehr ernst und ist erst am späten Nachmittag mit seiner Arbeit so zufrieden, dass er mich wieder nach Hause fahren lässt. Ich werde ihm von unterwegs eine Ansichtkarte schicken und mich für seine Mitarbeit bedanken.

Probepacken und aussortieren, neu packen, wieder aussortieren - bis alles schließlich da sitzt, wo es hingehört. So hoffe ich jedenfalls. Es ist schon erstaunlich, was alles mit soll. Ich bin eigentlich komplett autark unterwegs. Kann mich selber versorgen und mir hoffentlich bei Reparaturen auch selbst helfen. Ob ich all‘ meine Sachen allerdings wirklich brauchen werde, steht in den Sternen. Was braucht man denn schon alles? Ich zum Beispiel habe lange Unterwäsche wie auch tropentaugliche Pullover, Socken, Badelatschen, Handschuhe, Kamm, Schraubenzieher, Filme, Batterien, tausend Kleinigkeiten. Ich nehme mir vor, erst einmal alles einzupacken und mich dann später unterwegs von Sachen zu trennen, die nicht notwendig sind.

 

[Home] [Weltreise] [Osteuropa] [USA] [Kanada]