BC-Nord Kalifornien

04.03.2003

Heute gegen 12:00 will ich endlich los. Schon seit ein paar Tagen spüre ich, das ich rastlos bin. All'  die Energie, die Zeit und Vorbereitungen  wollen endlich in die Tat umgesetzt werden.Wildrich Weltreise los geht es Abfahrt am 04.03.2003

Ein letztes Mal frühstücke ich mit meiner Schwester. Wir trinken Tee, reden und sind beide ein bisschen wehmütig, weil wir die letzten Tage wirklich genossen haben und nie genau wissen,  wann wir uns wieder sehen. So habe ich zwar vor, in etwa zwei Monaten meine Reise auch hier in Vancouver zu unterbrechen, aber ganz sicher bin ich mir nicht.

Gemeinsam gehen wie runter zum fertig beladenen Motorrad und nehmen Abschied. Eine letzte Umarmung, dann drücke ich den roten Startknopf und der Motor beginnt zu leben. Ein letztes Foto, ich setze den Blinker, fahre links in den fließenden Verkehr hinein und schon kann ich Frauke nicht mehr im Rückspiegel sehen.

So fühlt sich das nun also an! Oft hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, wie die ersten Kilometer Nordamerika wohl sein würden. Jetzt bin ich recht ernüchtert, denn es ist kalt und niemand nimmt mich so recht wahr. Nur der Zöllner an der amerikanischen Grenze will dann doch wissen, wo ich denn in dieser Aufmachung hin möchte. So sage ich ihm dann, dass ich über Kalifornien nach Florida und schließlich wieder zurück nach Kanada möchte und voraussichtlich zehn bis zwölf Wochen unterwegs sein werde. Na, da hätte ich Einiges vor. Viel Glück wünschte er mir, und ich soll schön vorsichtig fahren! Fix werde ich noch fotografiert. Das geht seit einigen Monaten allen Einreisenden so. Amerika hat Angst. Wenig später bin ich dann im US-Staat Washington unterwegs.

Prompt verfahre ich mich, finde nicht die richtige Kreuzung und mache einen Umweg von fünfzig Meilen, bevor ich schließlich den Highway 20 erreiche, der mich über die vielen kleinen Inseln des Pudget Sound bis zur Fähre nach Port Townsend bringen soll.

Unterwegs halte ich an einer kleinen Tankstelle und kaufe Kartenmaterial. Wie ich so von meinem überladenen Motorrad absteige, in voller Montur, muss ich über mich selber schmunzeln. Das wirkt alles noch so verkrampft, überhaupt nicht natürlich, ganz im Gegenteil. Ich muss mich vorsehen, dass ich das Motorrad nicht umfallen lasse oder stolpere, als ich den Sattel verlasse. Eben ein Anfänger!

Wieder unterwegs, stehe ich an einer Ampel neben einem voll beladenen Schulbus. Wir warten beide auf das grüne Licht und die Jungen gestikulieren mir, ich solle doch mal ordentlich Gas geben. Ich tue ihnen den Gefallen und ernte tobenden Beifall.

Nach wenigen Stunden relativ unspektakuläre Fahrt erreiche ich schließlich den Fährhafen von Coupville am Ende einer Landzunge. Es ist nicht viel los, nur wenige Autos warten auf das Schiff. Ich zahle drei Dollar und darf zum Anfang der Schlange fahren. Dort angekommen, steige ich ab -und prompt fällt mein Motorrad um.

Gerade stehe ich wieder auf den Beinen, da sehe ich, wie hinter mir langsam eine gelbe BMW GS angerollt kommt. Der modisch gestylte Fahrer kommt sofort auf mich zu und gemeinsam heben wir meine Maschine wieder auf. Erst jetzt nimmt er seinen Helm ab und ich kann sehen, dass er vielleicht fünfzig Jahre alt ist. Er reicht mir die Hand und stellt sich mir als Lee vor. Er habe heute gerade frei und sei auf dem Rückweg von einem befreundeten Fischer, den er mehrmals im Monat besucht, um Fisch zu kaufen.Wildrich Weltreise eine nette Familie, die mich in der ersten Nacht bei sich aufnimmt

Wo ich denn hin wollte? Da mir nichts Besseres einfällt, sage ich "Terra del Fuego" und bin ganz überrascht, dass er auch weiß, wo das ist. Schnell kommen wie in ein Gespräch. Lee ist ganz begeistert von meinen Plänen, per Motorrad um die Welt zu fahren. Er erzählt, dass er als junger Mensch mehrere Jahre mit einem Segelboot den Pazifik befahren hat. Jetzt allerdings sei er verheiratet, hat drei kleine Mädchen und sei sesshaft geworden.

Wenig später auf der Fähre reden wir über meine Weiterreise. Lee fragt mich, wo ich denn gedenke, die Nacht zu verbringen? Ich sage ihm, dass ich eigentlich zelten wollte, es aber nach Gewitter aussehe und ich mir deshalb am Abend ein Hotelzimmer nehmen würde. Daraufhin zückt er sein Handy und ruft seine Frau an. Sie solle doch bitte noch ein paar mehr Kartoffeln aufsetzen, heute abend bringe er Besuch vorbei. Ob das Gästebett auch frisch bezogen sei? Ja, dann ist alles in Ordnung, wir wären in ein paar Stunden Zuhause!

Völlig perplex schaue ich ihn an. Er hätte mich ja zumindest fragen können. Im Ernst - ich freue mich natürlich, bin dankbar, dass ich an diesem ersten großen Tag so ein Glück habe.

Als wir die Fähre wieder verlassen, sagt Lee, ich solle ihm einfach folgen. Wir wären noch ungefähr eine Stunde unterwegs und würden kleine Straßen fahren, um den Feierabendverkehr zu vermeiden und die Landschaft zu genießen. So fahren wir von Port Townsend aus Richtung in Süden auf der 19 und 104 bis nach Bremberton. Immer entlang einer leicht hügeligen Küstenstraße auf der anderen Seite der Bucht von Seattle. Es geht durch Felder, vorbei an kleinen Bauernhöfen, Nadelwäldern und durch kleine Dörfer, deren Zentrum oft nicht mehr als eine Tankstelle oder ein General Store ist.

Nach etwa einer Stunde gelangen wir an eine Bucht, in der ein großes Holzsegelboot ankert. Gerade denke ich, wie idyllisch das alles aussieht, da biegen wir auch schon links in den Wald Richtung Ozean ab. Die langgezogene Einfahrt führt am Ende auf eine Klippe mit Lees gewaltigem großen Haus. Es steht dort wie eine mächtige Festung, thront über der Bucht mit dem Segelboot, das ich ja schon gesehen hatte. Als wir die Motorräder ausschalten, ist es ruhig, dann kreischt ein Adler über uns.

Ich kann es kaum fassen! So wohnen also reiche US-Amerikaner.Wildrich Weltreise die Küste von Oregon erlebe ich leider nur im Regen

Lees Frau Nancy begrüßt mich aufs freundlichste. Nein, nein, das sei doch alles gar kein Problem, sie freue sich, einen Gast im Hause zu haben. Auch die drei kleinen Mädchen im Alter zwischen 1 und 5 sind ganz aufgeregt.

Ich werde zu einem feudalen Gästezimmer gebracht und freue mich über den Ausblick aus meinem Fenster. Es spannt sich über eine ganze Wand hin und gibt den Blick frei auf die Bucht und eine vorgelagerte Insel. Ich denke, ich werde mit all den Eindrücken und dem heute Erlebten hier gut schlafen. Außerdem gibt es einen Computer mit Internet-Anschluss in meinem Zimmer, über den ich mich mit meiner Familie in Verbindung setzen kann.

Wenig später sitze ich am Esszimmertisch. Es gibt gebackenes Hühnchen mit gerösteten Kartoffeln und ich muss bei einer guten Flasche Wein erzählen, was ich vorhabe. Später dann, bei einem Tropfen Rum, erzählen mir die Beiden von ihrem Leben. Sie lernten sich in der Südsee kennen, wo Lee mit seinem Boot unterwegs war, und Nancy als Entwicklungshelferin gearbeitet hat. Sie sind Zugezogene. Wie viele Amerikaner in den letzten Jahren, so haben auch sie sich entschlossen, hier im Nordwesten eine Familie zu gründen. Firmen wie Microsoft und Boeing bieten hohe Einkommen und die niedrige Kriminalität bedeutet ein großes Stück Lebensqualität.Wildrich Weltreise Küste Oregon

Erst vor wenigen Jahren hat Lee beschlossen, zu heiraten. Er war viele Jahre überzeugter Junggeselle und hat in einer großen, amerikanischen Firma Karriere gemacht. Heute arbeitet er von zu Hause aus als Finanzberater und kümmert sich um die Kinder. Nancy ist Ärztin.

Bis spät in die Nacht reden wir übers Reisen und den wohl unvermeidbaren Krieg zwischen Amerika und dem Irak. Das ist ein wiederkehrendes Thema dieser Tage. Die Weigerung der Europäer, sich an diesem Konflikt zu beteiligen, stößt in großen Teilen der amerikanischen Bevölkerung auf Unverständnis. Viele Amerikaner fühlen sich von ihren europäischen Verbündeten alleine gelassen, betrachten den Irak als eine Bastion terroristischer Zellen, die es zu zerschlagen gilt. Man ist traurig darüber, dass man nur so wenige Unterstützung bekommt. Speziell das Ansehen Frankreichs hat gelitten. So erlebe ich zum Beispiel, wie „Frenchfries“ in „Freedomfries“ umgetauft werden.

Der fehlende Zusammenhang zwischen dem Irak und dem islamischen Terrorismus wird von der amerikanischen Bevölkerung weitgehend nicht wahrgenommen. Das liegt auch an der verhältnismäßig schlechten, einseitigen Berichterstattung im Fernsehen. Immer wieder erlebe ich, wie man die Wörter Muslime, Terroristen und 11. September in einen Topf wirft.

Schließlich habe Amerika doch schon so viele Länder befreit und immer wieder geholfen, Demokratie und Freiheit zu beschützen. So sagt Lee beispielsweise, man solle doch nur einmal daran denken, wie die USA Europa von den Nazis befreit und auch später durch den Marshallplan geholfen haben. Es sei nicht so, als wolle man nur das Öl. Es ginge einzig um die Freiheit der westlichen Welt. Dieser Konflikt sei ganz und gar einer zwischen Gut und Böse. Das höre ich oft in Amerika.

Meine Position zu diesem Thema, nämlich, dass Amerika nicht immer geholfen hat, Menschen zu befreien, sondern oft auch zu deren Unterdrückung beigetragen hat - siehe Vietnam oder Südamerika - behalte ich für mich. Nicht nur, weil ich meinen Gastgebern gegenüber nicht unhöflich sein möchte, sondern auch, weil ich denke, dass die Meinungen so festgefahren sind, dass eine Diskussion darüber zum jetzigen Zeitpunkt fast unmöglich ist.

Außerdem lockern Wein und Rum unsere Zungen, und da muss man sich vorsehen, um nicht Dinge zu sagen, die man später vielleicht bereut.

Völlig erschöpft liege ich im spät in der Nacht im Bett und betrachte den Mond, der draußen in der Bucht sein Licht über das Wasser wirft. Es ist so hell, dass ich sogar das Segelboot erkennen kann. Was für ein schöner Tag das doch heute war!

05.03.2003

Pünktlich um 6:15 sitzen wir alle gemeinsam am Frühstückstisch und reden über den kommenden Tag. Lee und Nancy haben heute geschäftliche Dinge in Seattle zu erledigen. Sie fahren später mit der Fähre rüber. Die Kinder geben sie bei einer Tagesmutter ab, selbst das kleinste, das gerade erst aus dem Säuglingsalter heraus ist. Wie es scheint, sind Kinder hier kein Hindernis, andere Dinge zu erleben.

Nach einer Dusche packte ich meine Sachen und bekomme noch eine große Tüte Proviant. Es gibt Lachs in vielen Varianten. Geräuchert oder in Dosen wird er sich ein paar Tage halten.

Lee gibt mir noch Instruktionen mit auf den Weg, wie ich am besten nach Oregon fahre. Er selber ist in einem kleinen Dorf nahe der Küste aufgewachsen und kennt sich dort gut aus. Als es dann schließlich los geht, vergieße ich fast ein paar Tränen. Ich hatte nicht gedacht, dass mir so viel Gastfreundschaft schon am ersten Tag zuteil würde. Ich verspreche, zu Wildrich Weltreise in Californien habe ich dann Sonneschreiben und anzurufen und mache mich dann hupend vom Hof.

Bewaffnet mit einer Skizze finde ich den Highway 3, der in südwestlicher Richtung die Stadt Bremberton verlässt. Ich fahre noch kurz am Hafen vorbei und bestaune die vielen Flugzeugträger der US Marine, die hier vor Anker liegen. Ob sie wohl in den nächsten Wochen im mittleren Osten zum Einsatz kommen werden?

Je weiter ich mich von der Großstadt Seattle entfernte, desto spärlicher wird der Verkehr. Dafür setzen schon nach wenigen Minuten Dauerregen und starker Wind ein. Das Fahren wird anstrengend, und als ich auf Höhe von Aberdeen wieder die 101 erreiche, beschließe ich, heute nur bis in die Küstenstadt Astoria, kurz hinter der Grenze zu Oregon, zu fahren.

Der Regen trommelt auf meinen Helm und ich bin froh, heute morgen doch die Regenkombi angezogen zu haben. Die Grenze zwischen Washington und Oregon wird durch die Mündung des Columbia River und eine Brücke markiert. Diese ist vier Meilen lang, schmal. Wegen des schlechten Wetters kann man das andere Ufer nicht sehen. Ich atme tief ein und wage mich dann wieder auf die Straße. Starke Windböen bringen mich immer wieder auf die falsche Straßenhälfte. In Gedanken sehe ich mich schon in einen Unfall mit einem LKW verwickelt. Schließlich schaffe ich es dann aber doch wohlbehalten bis nach Oregon und suche mir wegen des starken Regens ein Motel.Wildrich Weltreise Lost Coast Californien

Völlig durchnässt und übermüdet nehme ich noch ein sprudelndes Bad und gehe früh ins Bett.

06.03.2003

Man hatte mich gewarnt, dass es noch zu früh im Jahr sei, um die Küstenstraße zu fahren. Tatsächlich herrscht immer noch Dauerregen, als ich mich schließlich um 8:30 auf den Weg mache. Gerade eben habe ich noch mit einem Kawasaki-Händler in North Bend gesprochen und ausgemacht, dass ich heute abend mein Motorrad für eine Inspektion vorbeibringen würde. Diese ist nach 1.500 km vorbeschrieben und da ich Wert darauf lege, meine Garantie zu erhalten, nehme ich sie gerne in Kauf.

Von Astoria aus führt die 101 in Schlangenlinien immer an der Küste entlang direkt nach Kalifornien. Sie ist in diesem Bereich sicherlich eine der schönsten Straßen der Welt, und ich habe schon viele Bücher und Artikel darüber gelesen. Es ist zu schade, dass es so stark regnet und stürmt. Die Wolken reichen hinab bis auf die Straße und wenn ich zu meiner Rechten glaube, den Pazifik zu sehen, kann es genauso gut eine Nebelbank sein. Trotz meiner Regenkombi bin ich in kürzester Zeit nass. So halte ich schon nach wenigen Kilometern wieder an und gönne mir hier an einer Tankstelle einen Kaffee.

Der Nordwesten der USA ist bekannt für sein schlechtes Wetter. Und ich habe sogar Glück, dass es nur Regen ist. Einige Kilometer weiter im Inland herrscht Chaos auf der Autobahn, weil starkes Schneetreiben ein Weiterkommen verhindert.

Ich erahne den Wald, der links entlang der Straße liegen muss. Ab und an sehe ich ihn natürlich auch, aber der Regen ist so stark, dass ich mich nicht auf die Landschaft konzentrieren kann. Dennoch halte ich an ein paar Aussichtplattformen an und versuche, einen Blick auf den Pazifik zu erhaschen. Hören kann ich ihn! Tobende Wellen schlagen unter mir an die steilen Klippen. In der Stadt Newport gehe ich frühstücken. In einem kleinen Restaurant bekomme ich ein typisch amerikanisches Frühstück. Gebratene Eier und Speck, Toast, Kaffee, Orangensaft und Bratkartoffeln. Normalerweise ist ein solch deftiges Frühstück nicht mein Ding, aber bei dem schlechten Wetter brauche ich so ziemlich alle Nährstoffe, die ich Wildrich Weltreise Lost Coastbekommen kann.

Es regnet ununterbrochen, ich habe das Gefühl, es ist in den letzten Minuten noch schlimmer geworden. Die dicken Wassertropfen auf der Strasse sehen aus wie Millionen tanzender Perlen.

So reduziere ich meine Geschwindigkeit, um nicht im Graben rechts der Straße zu landen. Zu allem Übel fährt vor mir auch noch ein LKW, den ich weder überholen kann noch will. Direkt hinter mir schließt ein Pickup dicht zu mir auf. Noch über 200 Meilen bis nach North Bend, und bei dieser Geschwindigkeit wird das noch mindestens fünf Stunden dauern.

Ich schaffe es dann schließlich doch und finde auch gleich auf Anhieb den Kawasaki-Händler. Bei dem starken Regen, denke ich mir, wird es gut sein, gleich von hinten auf den Hof zu fahren. Und tatsächlich habe ich Glück. Das Garagentor steht auf. Vor Wasser triefend steige ich vom Bock. Ein strahlendes Teenager-Gesicht mit Ziegenbart und Baseballkappe gafft mich Kaugummi kauend, staunend an. So, als wäre ich gerade aus einem Raumschiff geklettert.

"Hey Man! How are you doing? You must be Axel, the German guy that phoned!"

Es ist Corey, der Mechaniker. Ob ich nicht vielleicht erst einmal einen Kaffee haben wolle? Nach dieser netten Begrüßung sprechen wir darüber, was am Motorrad alles gemacht werden soll. Ich werde die Maschine über Nacht in der Werkstatt lassen, damit sie auskühlt und morgen früh die Ventile eingestellt werden können.

Später bringt mich Corey dann noch in mein Motel, das in der Nähe der Werkstatt ist. Auf der Fahrt in seinem Truck erzählt er aus seinem Leben. Er berichtet davon, selber Motorradfahrer zu sein und schon seit frühester Jugend zu schrauben. Ich denke mir, dass das ein gutes Zeichen ist. Schließlich gibt es genug Mechaniker, die den Job nur mangels anderer Alternativen ausüben.Wildrich Weltreise Rast a der Lost Coast

Es regnet auch noch am späten Nachmittag, als ich mich zu Fuß auf den Weg in die Stadt mache. Im Slalom tapse ich um die Pfützen und gehe in einen Supermarkt. Dort kaufe ich Getränke und einen Salat. Ich mache mir ein wenig Sorgen über mein Budget. Ursprünglich hatte ich vor, schon vom ersten Tag an zu zelten und mir nur in wirklichen Ausnahmesituationen ein Motel-Zimmer zu nehmen. Jetzt aber habe ich schon zweimal hintereinander 60 Dollar zahlen müssen, um zu übernachten. Auf Dauer geht das so nicht weiter und ich beschließe, heute abend noch einmal genau nachzurechnen, wieviel Geld ich zur Verfügung habe.

Ganz in der Nähe des Supermarktes liegt die Bücherei der Stadt. Jedes amerikanische Nest hat eine solche. Sie sind viel bedeutender als deutsche Büchereien, dienen nicht nur dem Buchverleih, sondern sind auch Treffpunkt der Generationen sowie Internetkaffee.

Die freundliche Mitarbeiterin will nicht einmal meinen Ausweis sehen. Ich sage ihr, dass ich kein Mitglied und nur auf der Durchreise sei. Nein, das wäre überhaupt kein Problem, selbstverständlich könne ich einen Computer haben. Wie lange ich ihn möchte? 30 Minuten oder lieber gleich eine Stunde? Ich bin überrascht! Es soll nichts kosten. So nehme ich dann einen Computer nahe der Heizung, wärme mich auf und schreibe Mails an meine Eltern und Freunde.

07.03.2003

Es ist der prasselnde Regen, der mich morgens weckt. Ein wenig verwirrt taste ich mich durch das dunkle Motelzimmer zum Lichtschalter vor. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass es schon 7 Uhr ist. Draußen herrscht noch immer Dunkelheit. Es sind die dichten Wolken, die kein Licht durchkommen lassen wollen.

Wie viele amerikanische Motels so hat auch dieses eine Kaffeemaschine auf dem Zimmer. Die gluckert und zischt nun und der Duft des frischen Kaffees weckt mich langsam. Gestern Abend noch habe ich viel Zeit damit verbracht, mir Gedanken über meine weitere Route bis nach Kalifornien zu machen. In drei Tagen will ich meinen Freund Klaus am Flughafen von Los Angeles treffen. Gemeinsam wollen wir dann bis nach Florida fahren. Für uns ist diese Etappe durch Nordamerika ein großes Abenteuer, und ich freue mich, dass ich ihn als Begleitung haben werde.

Klaus und ich kennen uns schon seit etwa 15 Jahren, haben gemeinsam eine Hotelfachlehre absolviert. Seine Frau Steffi hat ihm vier Wochen Zeit gegeben, mich zu begleiten.

Noch 900 Meilen. Ich denke, dass ich das in drei Tagen gut schaffen kann. Ich werde versuchen, mich nicht zu hetzen und auch weiter rechts und links des Weges zu schauen. Bei meiner ersten Weltreise-Etappe im letzten Jahr habe ich den Fehler gemacht, zu schnell zu reisen. So sind mir von 12.000 km weniger Eindrücke erhalten geblieben, als ich dachte. Vor allem ärgere ich mich darüber, nicht ständig Fotos gemacht zu haben. Außerdem bleiben bei einer schnellen Fahrweise auch die Kontakte zu den Menschen auf der Strecke. Und es sind gerade diese, welche mir wichtig sind.

So nehme ich mir vor, die Strecke bis nach Los Angeles zu nutzen, um entlang des Weges mit so vielen Menschen wie möglich zu sprechen.

Am späten Vormittag flüchte ich aus dem Regen in eine typisch nordamerikanische Shopping Mall. Nicht, dass ich etwas kaufen müsste, aber ich suche ein trockenes Plätzchen und genieße auch diesen Teil des amerikanischen Lebens. Einkaufszentren eignen sich hervorragend dazu,  Menschen zu beobachten. Hier trifft man den normalen Durchschnittsamerikaner und bekommt bei einem Blick auf seine Einkaufstüten einen recht guten Eindruck davon, was für ein Leben er führt.

Hier in North Bend leben eher einfache Menschen. Sie schleppen kistenweise Cola und Bier aus den Supermärkten, tragen Jeans und Baseballkappen und haben Zeit. Man trifft sich zwischen Geschäft und Bank, hält ein kleines Schwätzchen und geht dann wieder seines Weges.

Für 12 Uhr habe ich mich mit Corey in der Werkstatt verabredet. Leider ist er noch nicht fertig geworden. Die Maschine ist noch völlig auseinander genommen,  Tank und Zylinderkopf liegen neben der Werkbank auf dem Boden. Er freut sich über mein Erscheinen und versicherte mir, dass ich in wenigen Minuten abreisen kann. Dann dauert es natürlich doch noch zwei Stunden.

Diese nutze ich, um zu frühstücken und mich mit der Besitzerin der Werkstatt zu unterhalten. Sie heißt Linda und überrascht mich, weil sie mich auf deutsch begrüßt. Sie ist vor vielen Jahren aus Deutschland eingewandert und hat einen Amerikaner geheiratet. Sie freut sich, mit mir deutsch reden zu können; wir unterhalten uns über ihre letzte Reise in die alte Heimat.Wildrich Weltreise Reedwood Nationalpark

Die Werkstatt haben sie und ihr Mann vor vielen Jahren gegründet. Bis vor kurzem haben sie  Harley und Kawasaki Motorräder verkauft und repariert. Dann kam aber eine neue Welle der amerikanischen Chopper Hysterie und ein Interessent hat ihnen viel Geld für das Recht geboten, Harleys in der Umgebung von North Bend zu verkaufen. So wurde ein Teil Betriebes verkauft und jetzt spezialisiert man sich auf japanische Modelle.

Sonst eher unüblich, freut sich Corey darüber, dass ich ihm in der Werkstatt auf die Finger schaue. Ich sage ihm, dass ich etwas lernen möchte. Er spielt gerne den Lehrer und erklärt mir jeden Handgriff. Nicht, dass ich so schnell alles begreife, aber ich bekomme noch eine Lehrstunde gratis. Als dann schließlich alles wieder zusammengebaut ist und auch funktioniert, überlegte er, was er mir wohl abnehmen soll. Immerhin war das ja wohl mehr Gerede als tatsächliche Arbeit. So kommt es, dass ich für eine komplette Inspektion mitsamt  Öl- und Kerzenwechsel nur 57 Dollar bezahle.

Ich streife wieder meine Regenkombi über, montiere das Gepäck und verlasse die winkende Belegschaft. Dass es immer noch regnet, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Als ich auf den Tacho schaue, habe ich dann aber doch ein gutes Gefühl. Er zeigt Kilometer 1111,1 - wenn das keine Glückszahl sein soll... .

Die kurvige Küstenstraße 101 setzt sich auch südlich von North Bend fort. Allerdings lässt der Verkehr spürbar nach und so kann ich mich trotz des schlechten Wetters doch über etwas freuen. Sicherlich wird das Wetter in den nächsten Tagen besser. Ich mag es nicht glauben, dass sich dieser Regen bis nach Los Angeles fortsetzt.

Heute habe ich ab und an sogar mal ein paar Augenblicke ohne Regen. Diese dauern immer so ein bis zwei Minuten und ich halte dann schnell an, um flott ein Foto zu machen. Sonst rase ich wohlmöglich noch durch den Regen und man glaubt mir vielleicht gar nicht, dass ich hier war. An der Küste wimmelt es nur so von kleinen Nationalparks, Picknickplätzchen und Wanderwegen. Sie sind gut ausgeschildert und, so weit ich das sehen kann, auch gut besucht.Wildrich Weltreise Redwood Nationalpark California

Pfiffige Namen wie z. B."Seven Devils State Park" fordern mein Interesse heraus und so halte ich dann doch trotz des Regens an und gehe ein wenig spazieren. Das Wasser der letzten Tage hat den Wanderweg völlig aufgeweicht. Er führt direkt hinunter bis zum Strand des Pazifiks. Dort tost das Meer und wirft seine weißen, rauschenden Wellen ans Land. Eine ganze Menge Baumstämme wurden angespült und liegen wie Mikadostäbe umher. Ein steifer Wind weht vom Ozean. Ich mache ich mich schnell wieder auf den Weg zurück zum Motorrad.

Bis heute Abend möchte ich in Crescent City und damit in Kalifornien sein. Da habe ich noch ein paar Meilen vor mir. Ich erreiche schließlich die Grenze hinter der Stadt Brookings und bemerke, wie sich das Wetter schlagartig ändert. Als wüsste der Wettergott um die Grenze Bescheid, herrscht hier schönstes Frühlingswetter. Blauer Himmel, ab und an eine Schäfchenwolke, die Blumen blühen. Soll ich es wagen, zu zelten? Immerhin, der Boden ist total aufgeweicht. Nein, da nehme ich doch lieber wieder ein Zimmer.

Ich habe Glück. Es ist Freitag, auch schon relativ spät am Nachmittag, aber trotzdem bekomme ich noch ein halbwegs passables Zimmer. Crescent City selber hat nicht viel zu bieten. Es ist eine reine Touristenstadt, am Eingang zum weltbekannten Redwood Nationalpark. Dementsprechend viele Restaurants und Zimmer gibt es hier. Auch zu dieser frühen Jahreszeit sind schon viele ausgebucht, wie ich an den "No Vacancy" Zeichen der Motels sehen kann.

Wie ich gerade dabei bin, mein Gepäck vom Motorrad zu lösen, fährt ein Pickup auf den Parkplatz neben meinen. Ein Mann steigt aus und fragte mich (sicherlich hat er das Kennzeichen erkannt), ob ich denn wirklich von Kanada mit diesem Motorrad gekommen sei. Ja, sage ich, und ich will auch noch viel weiter. Bis nach Florida und zurück nach Kanada. Das erntet Staunen und einen anerkennenden Gesichtsausdruck.

Wie oft mir das wohl noch passieren wird, dass man mich nach meiner Herkunft fragt und wo ich hin will?

08.03.2003

Als der Morgen dämmert, wecken mich Stimmen außerhalb meines Motelzimmers. Schon früh machen sich meine Nachbarn auf den Weg. Ich versuche, noch ein wenig zu schlafen, gebe dann aber doch meinem Tatendrang nach und besorge mir ein Gratis-Frühstück an der Rezeption. Wie ich so halb schlaftrunken zurück zu meinem Zimmer torkle, merke ich, dass der Tag heute schön wird. Nicht eine einzige Wolke ist am Himmel. Kalifornien begrüßt mich also wirklich mit seinem bekannten guten Wetter.

Wildrich Weltreise Redwood NationalparkVon Crescent City aus führt der Highway 101 in den nahegelegenen Redwood Nationalpark. Sobald man diesen erreicht,  wird die Luft spürbar kühler und der herzhafte Duft der Zedern-Bäume steigt mir in der Nase. Der 101 ist in diesem Bereich traumhaft schön. Steile Kurven, ständig wechselnde Ausblicke auf die Steilküste und den Pazifik und natürlich auch die gewaltig großen Bäume! Sie  flößen mir Ehrfurcht ein. Manche dieser Riesen sind viele hundert Jahre alt und werden hoffentlich auch noch von kommenden Generationen bewundert werden können. Ganz in der Nähe gibt es den berühmten Baum, durch den man hindurch fahren kann. Das Gelände, auf dem er steht, gehört allerdings nicht zum Nationalpark, sondern ist Privatgrund, und wird deshalb schamlos kommerziell ausgenutzt.

Oft halte ich entlang der Straße an und schalte den Motor aus, genieße dann die Ruhe und den Duft des Waldes für einen Moment. Schließlich erreiche ich einen kleinen Parkplatz und unternehme eine Wanderung. Der Weg ist gut markiert, er führt an besonders großen Exemplaren dieser Mammutbäume entlang. Ich bin erfreut, wie wenig Menschen heute Morgen unterwegs sind. So kann ich der Stille des Waldes lauschen. Der Wind rauscht über mir durch das Blattwerk und ich sehe viele Adler.

Südlich von Eurika verlasse ich die 101 und fahre durch das Gebiet des "Humboldt Redwood State Park". Nach wenigen Meilen auf einer schlecht ausgebauten kleinen kurvigen Straße öffnet sich der Blick auf die kalifornische Küste, die hier in diesem Bereich überhaupt nicht bebaut ist. Es   erinnert an England und die Sendung "Der Doktor und das liebe Vieh". Ständig muss ich daran denken, dass es mich nicht überraschen würde, all' diese Landschaften schon einmal im Fernsehen gesehen zu haben.

Wieder zurück auf der 101 erreiche ich spät am Abend die kleine Stadt Ukiah, wo ich mich für wenig Geld in einem Hotel niederlasse. Die Rezeptzionistin ist taiwanesischer Herkunft und gibt mir gerne Auskunft über die Gegend. Sie selbst kommt aus Los Angeles, studiert dort und arbeitet nur aushilfsweise. Ihr Onkel, dem das Motel gehört, liegt mit einem Schlaganfall im Krankenhaus. Da die Familie sich immer gegenseitig hilft, verbringt sie hier ihre Semesterferien.

Im Fernsehen laufen jetzt ständig Beiträge zur Krise im Nahem Osten. Der öffentlich-rechtliche Sender C-SPAN sendet rund um die Uhr Beiträge dazu. Er ist einer der wenigen nicht-kommerziellen Sender hier und berichtet sehr fair, ohne Unterbrechungen durch Reklame. Gezeigt werden sogar ausländische Nachrichtensendungen, zum Beispiel des kanadischen Fernsehens, die sich auch kritisch zum US-Aufmarsch äußern.

Gegenüber des Motels gibt es einen Laundromat (Wäscherei), und so wasche ich noch am Abend meine Wäsche. Auch meine KLR befreie ich hier vom Schmutz der ersten 2.000 km Regenfahrt.

 

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