Ontario

05.08.2003

Früh am Morgen und es ist schon schwül-heiß. Meine Nachbarn zur Rechten bauen leise ihr Zelt ab. Sie flüstern dabei, um die anderen Camper nicht zu stören. Nordamerikaner sind im allgemeinen viel höflicher, als ich das erwartet hatte.Wildrich Weltreise an einem See in Ontario

Während der Automat meine Wäsche wäscht, gehe ich schwimmen. Der See ist umgeben von Tannenwald. Glatt ist das Wasser, und ich kann selbst weiter draußen bis auf den Grund sehen. Es ist völlig still, hier in der Wildnis. Nicht einmal den Wind kann ich hören. Ab und an summt ein Insekt an mir vorbei, aber das war es dann auch schon.

Ich mache mir einen Kaffee auf dem Spirituskocher. Er leistet mir gute Dienste, ist ein Stück Unabhängigkeit. Immer wieder sind meine Gedanken bei Klaus, wenn ich ihn benutze. Er hat ihn mir als Leihgabe mit auf die Reise gegeben, und ich freu mich oft an dem guten Stück.

Wieder muss ich meine Kette nachspannen. Sie scheint jetzt bis zum äußersten strapaziert. Schon seit ein paar Tagen mache ich mir Gedanken darüber, wo ich eine neue herbekommen kann. Von Winnipeg aus Richtung Osten ist Thunder Bay die nächste Stadt. Das sind aber noch 400 km. Ob ich das schaffen werde? Per Telefon erfahre ich, dass man dort keinen Ersatz für mich auf Lager hat. Mangels anderer Alternativen mache ich mich dennoch auf den Weg dorthin.

Ich versuche, mir keine Sorgen zu machen und betrachte während der Fahrt die sehr schöne, abwechslungsreiche  Landshaft. Alle 80 -100 km gibt es ein Dorf: Benzin und Getränke, eine willkommene Abwechslung für mein Motorrad und mich. Zwar könnte ich mit einer Tankfüllung 400 - 500 km weit fahren, aber ich halte immer wieder an, um die Kette zu kontrollieren. 100 Kilometer vor Thunder Bay ist sie so lose, dass ich sie leicht vom Ritzel heben kann. Wenn das mal gut geht! Sie rasselt jetzt und sWildrich Weltreise niedliche nachbarschaft in Ontariochleift über die Achsschwinge. Nur sehr langsam kommen wir voran.

Kurz vor Thunder Bay treffe ich an einer Tankstelle Jungs aus einem Kawasaki Klub. Sie sind mit ihren Rennmaschinen auf  Kurvensuche in den Bergen und pausieren, um Sprit und Cola nachzutanken. Gemeinsam beraten wir, was zu tun ist. Schließlich geben sie mir Geleit in die Stadt, bringen mich zum dortigen Kawa Händler. Dort angekommen, hat der Laden leider geschlossen, aber ein Mann läuft gerade ums Geschäft: Jeans und Lederjacke, vielleicht 150 kg schwer, Vollbart und lange Haare, offensichtlich ein Biker. Er kommt auf mich zu und stellt sich als Rick vor.Wildrich Weltreise

Rick arbeitet als Verkäufer bei Kawasaki und wohnt über dem Geschäft. Er sagt, ich solle morgen früh wiederkommen, dann würde man mir sicherlich helfen können. Eine Idee, wo ich die Nacht verbringen kann, hat er auch. In der Nähe gibt es ein Motel, und ich fahre  SEHR LANGSAM  dort hin, denn die Kette ist SEHR LOSE -  ich kann sie nicht mehr spannen.

Das "Ritz" ist das billigste Motel meiner Reise. Nur 29 Dollar! Mein Zimmer ist alt und klein,

aber es ist okay. Der Fußboden quietscht unter mir, das Telefon hat noch eine Wahlscheibe. Nostalgie pur!Wildrich Weltreise

Ich bin froh, heil angekommen zu sein.  Die aufgestaute Sorge fällt von mir ab, als ich mich mit einer langen, kalten Dusche belohne. Nach einem Telefonat mit meinen Eltern bin ich wieder bester Laune und plane, den Abend in der Stadt zu verbringen.

Thunder Bay kenne ich nur als Punkt auf der Wetterkarte des kanadischen Fernsehens. Die  Stadt (114.000 Einwohner) liegt am Lake Superior (Oberer See). Es gibt einen Hafen, Lagerhäuser und eine Hauptstraße mit Restaurants und Geschäften. Weiter außerhalb liegt ein Gewerbegebiet mit Supermärkten und Autohändlern.

Ich will mein Schicksal nicht herausfordern und fahre mit dem Bus in die Stadt. Heute gibt es hier ein Italian-Festival. Die italienischen Einwohner repräsentieren auf einem zentralen Marktplatz ihre Kultur anhand von Imbissen. Auch dies scheint mir typisch kanadisch. Anders als in den USA, ist Wildrich Weltreise Manitoba hierher kommen also die ganzen Sonnenblumen für das Ölman stolz auf seine Herkunft, verleugnet sie nicht. Immer wieder treffe ich Kanadier, die berichten, Iren, Polen oder Ukrainer zu sein. Zwar leben sie vielleicht schon in zweiter oder dritter Generation auf diesem Kontinent, aber sie sind sich ihrer Wurzeln bewusst. Viele von ihnen sprechen die Sprache ihrer Vorfahren und halten Kontakt zu den Verwandten in Europa oder Asien.

So spaziere ich gegen Abend durch die Stadt, erfreue mich an dem bunten Treiben. Man hat eine Tanzfläche geschaffen und zur Musik von Eros Ramazotti schwofen Jung und Alt an mir vorbei in der lauen Sommerluft. Es dämmert langsam. Vögel zwitschern im Park neben dem Festplatz. Ich bekomme Hunger.

Ich kann mich nicht entscheiden, an welchem Stand ich essen soll. Außer den bekannten Pizza- und Pastagerichten habe ich die Wahl zwischen vielen undefinierbare Kleinigkeiten und Süßspeisen. Gerade schaue ich einer leicht bekleideten Passantin hinterher, da sehe ich auf der anderen Straßenseite die Reklame des "Aurora" Restaurants. Ich frage nach und erfahre, dass es sich um ein neu eröffnetes Bistro handelt. Ich esse eine Lachspizza und Salat.

Erst spät nach Sonnenuntergang mache ich mich zu Fuß wieder auf den Weg zum meinen Motel.

06.08.2003

Ich habe sehr gut und erholsamen geschlafen diese Nacht. Das Motel liegt zwar an einer Hauptverkehrsstraße, aber die Anstrengungen des gestrigen Tages haben mich geschlaucht. Unten an der Rezeption bekomme ich gratis einen Kaffee. Mit dem Becher in der Hand setze ich mich in den kleinen Garten und beobachte zwei Motorradfahrer, wie sie ihre Maschinen beladen. Ihre Honda Goldwings stehen rechts und links neben meiner Wildrich Weltreise Abendstimmung OntarioEnduro.

Tim und George sind Polizisten aus Montreal, unterwegs nach Westen. Gemeinsam frühstücken wir, bevor ich im Schritttempo den einen Kilometer zum  Kawasaki Händler fahre. Pünktlich um 9:00 komme ich dort an, gerade, als man das Schild "Open" in die Ladentür hängt.

Rick, den ich ja gestern schon kennen gelernt hatte, begrüßt mich mit festem Handschlag und einem Lächeln. Er sagt, ich solle in etwa einer Stunde wiederkommen, bis dahin würden sich die Mechaniker mein Motorrad angeschaut haben. Sicherlich sei alles nur halb so schlimm. So gehe ich ein wenig spazieren, besuche auch die Bücherei, um im Internet zu surfen und die örtliche Zeitung zu lesen.

Auf dem Weg zurück zur Werkstatt rechne ich in Gedanken zusammen, was an Kosten auf mich zukommen kann. Ich bin dann allerdings doch ein wenig erstaunt darüber, dass die Reparatur

400 Dollar kosten soll. Leider sind die passenden Ritzel nicht auf Lager, was ich ja schon wusste. Sie müssen bestellt werden und sollen morgen per Post eintreffen.

Man zeigt mir die ausgebauten Teile und zum Vergleich neuwertige. Die Glieder meiner Kette sind viel weiter voneinander entfernt als die einer neuen. Anscheinend habe ich sie bis auf das Äußerste strapaziert. Leider hat sie nur etwa 5.000 km gehalten, normal wären 10. bis 15.000 km.

So komme ich zu einem weiteren Tag Zwangspause. Eigentlich eine willkommene Abwechslung von meinem Fahralltag, wäre sie doch nur nicht so teuer erkauft. Immerhin kommen zu den Reparaturkosten auch noch die Alltagsspesen. Aber was will ich machen? Es muss ja sein. Zu Fuß gehe ich langsam durch die Stadt zurück ins Motel, um per Telefon meinen Eltern Bericht zu erstatten.

Von der Motelbesitzerin bekomme ich einen Stadtplan und auch Tipps, was ich mit dem Tag anfangen kann. Ich kaufe im Supermarkt Vorräte für die nächsten Tage, schlafe viel und sonne mich auf der Terrasse.

07.08.2003

Alles zusammen zahle ich 406 Dollar! Kette und Ritzel sind beste Qualität. Wildrich Weltreise Terry Fox ist ein kanadischer NationalheldIm Geheimen schwöre ich mir, nie wieder billige Ersatzteile zu kaufen.

Auf den Weg aus der Stadt halte ich beim "Terry Fox Memorial". Geboren in Winnipeg, aufgewachsen in British Columbia, wurde Terry Fox in jungen Jahren ein kanadischer Nationalheld. Ich erinnere mich noch daran, wie er Anfang der 80er Jahre ständig in den Nachrichten war. Als junger Mensch verlor Terry ein Bein durch Krebs und versuchte später, Geld für die Krebsforschung zu sammeln. Er begann seinen "Marathon of Hope" an der Atlantikküste und wollte ihn in Vancouver am Pazifik beenden.

Ganz in der Nähe von Thunder Bay musste Terry seinen Lauf abbrechen, nachdem sich der Krebs auch in seiner Lunge ausgebreitet hatte. Er war 22 Jahre alt, als er starb. In seinem Namen wurden inzwischen weltweit über 340 Millionen Dollar gesammelt. Auch heute noch kennt in Kanada jedes Kind seinen Namen.

Die Landschaft heute ist eintöniger als in den letzten Tagen. In Gedanken bin ich jetzt manchmal schon wieder Zuhause, wo  Arbeit, Freunde und Familie auf mich warten. Wieder wird es in diesem Jahr zu einer Zwangspause kommen, bevor ich dann im März 2004 weiterfahren kann. Heute in einer Woche werde ich schon wieder in Deutschland sein. Vorher jedoch habe ich noch über

1.000 km vor mir, ehe ich Toronto erreiche. Dort wohnt ein Freund meiner Familie, bei dem ich mein Motorrad für den Winter unterstellen kann.

Entlang der Küste des Lake Superior fahre ich nach Terrace Bay und Marathon. Es ist ein herrlicher Tag, keine Wolke am Himmel, und der warme Wind weht mir um die Nase. Immer wieder steigt die Straße an, entfernt sich kurz vom Wasser, um wenig später wieder die Sicht auf den nächsten Strand freizugeben. Das andere Ufer kann ich nicht sehen, so groß ist dieser größte See Nordamerikas, mit über 5.600 km Küste!Wildrich Weltreise ich sehe öfter mal andere KLRs. Sie sind in Nordamerika recht beliebt.

Ich fliege um die Kurven, spiele mit der Straße und muss mich vorsehen, es nicht zu übertreiben. Es ist ein völlig anderes Fahrgefühl mit der neuen Kette. Immer wieder bin ich überrascht, welchen großen Einfluss relativ kleine Teile auf das Fahrverhalten des Motorrades haben. Die Kawasaki zieht jetzt viel besser, hängt gut am Gas.

Immer wieder mal ziehen Wolken auf, der erste Regen meiner Kanadareise kühlt mich ab. Die Straße dampft, ich sehe Regenbögen. Auf einem Motorrad kann man das Wetter riechen. Heute liegt auch Schwefel in der Luft.

Nicht einmal mein Durst kann mich heute zum Anhalten bewegen. Ich muss mich zwingen, an einer Tankstelle eine Rast einzulegen. Wie oft bei solchen Gelegenheiten treffe ich andere Motorradfahrer, die mir mit Rat und Tat zur Seite stehen. Man tauscht Erfahrungen aus  und freut sich über die Abwechslung, die eine solche Gelegenheit bietet.

Kurz vor Marathon halte ich an einem schönen Campingplatz direkt am See. Es gibt einen breiten Sandstrand, den ich ganz für mich allein habe. Die Straße ist weit genug entfernt, um in Ruhe einen Mittagsschlaf zu halten. Sonne und Regen wechseln sich immer wieder ab, nur selten dauert ein Schauer mehr als ein paar Minuten. Ich koche mir Chili und Gemüse, picknicke auf einem Felsen und lasse es mir gut gehen. So gut gefällt mir die Umgebung, dass ich beschließe, die Nacht hier zu bleiben und nicht weiter zu fahren. Dies, obwohl es in der Nacht einen Sturm geben soll. So fängt es dann auch am frühen Abend wieder an zu regnen und ich gehe zeitig ins Zelt, um die Nacht trocken zu verbringen.

Unter dem Schein meiner Stirnlampe lese ich in meinem Reiseführer  und lausche noch spät in der Nacht dem Regen, der auf mein Zelt nieder prasselt.

08.08.2003

Es ist schon 9 Uhr, als ich aufwache. Trotz des ständigen Regens habe ich gut geschlafen Ich bin überrascht, dass die nächtliche Geräuschkulisse dies zugelassen hat. Die Regentropfen auf meinem Zeltdach sind vergleichbar mit Trommelnschlägen!

Draußen vor dem Zelt sehe ich, dass ich von tiefen Wasserpfützen umgeben bin. Gott sei Dank habe ich gestern Abend mein Motorrad auf dem Hauptständer abgestellt, so ist es nicht im Schlamm umgekippt.

So gut es geht, versuche ich, trocken zu bleiben und packe vorsichtig alle nassen Gegenstände in Mülltüten, von denen ich immer eine Menge dabei habe. Sie eignen sich nicht nur, um Ordnung zu halten oder mein Gepäck vor auslaufenden Flüssigkeiten zu schützen, sondern  zuweilen nutze ich sie auch als eine Art wasserfester Socken, als Lage zwischen Stoff und Schuh.

Ich hoffe, dass der Regen heute nachlässt, damit ich später das Zelt an der frischen Luft trocknen lassen kann. Leider vergebens........

Schon ziehen wieder dicke Wolken auf!  Ich mache mich flott auf den Weg, um dem Regen zu entkommen. Nur wenige Kilometer hinter dem Campingplatz sehe ich aus einem Augenwinkel einen Schwarzbären am Straßenrand. Leider ist hinter mir ein LKW, so dass ich nicht anhalten kann, um ihn zu beobachten.

Das schlechte Wetter bereitet mir Unbehagen, ich fühle mich nicht so gut wie in den letzten Tagen. Ich bin verwöhnt, hatte ganz vergessen, wie schnell  Stimmung und Wetter umschlagen können. An der nächstbesten Tankstelle halte ich an, um mir einen Kaffee zu kaufen und zu überlegen, wie weit ich es heute schaffen will. Die Stadt Sault Saint Marie liegt etwa 400 km entfernt, direkt an der Grenze zu Michigan. Die Strecke führt immer entlang des Lake Superior, dessen Ufer ich ja jetzt schon ein paar Tage folge.

Gerade will ich wieder los, da sehe ich im Rückspiegel, wie hinter mir ein Motorrad hält. Der Fahrer gestikuliert mir, dass ich noch warten soll. So steigen wir beide von unseren Maschinen ab und es stellt sich heraus, das Kris auch eine KLR fährt. Er ist gerade auf dem Rückweg nach Thunder Bay, von einem "Rolling Stones" Konzert in Toronto.

Kris ist ganz verwundert über mein Motorradzubehör, das er in Kanada noch nie gesehen hat. Die Auswahl an Motorradkoffern und -taschen ist in Nordamerika viel kleiner als in Deutschland, wo Spezialgeschäfte wie ''Louis" oder "Hein Gericke" fast in jeder Stadt zu finden sind. Speziell mein geräumiger Magnet-Tankrucksack hat es ihm angetan.

Dann erfahre ich auch Einiges über ihn. Den Sommer über wohnt er bei seinen Eltern in Thunder Bay und lebt von den Ersparnissen, die er im Winter in Nord-Alberta erwirtschaftet. Sobald der Boden dort gefriert, macht er sich mit seinem Motorrad auf den Weg, um auf den großen Ölfeldern sieben Tage in der Woche zu schuften und zu sparen. 12 Stunden am Tag arbeitet er so in der völligen Dunkelheit, bis zum nächsten Frühling. Sorgen um seiner Zukunft macht er sich nicht, der Irak-Krieg und die allgemein unsichere Lage im nahen Osten machen die Rohstoffe im Norden Kanadas wertvoller denn je. Das Land ist sehr reich an Öl- und Gas- Vorkommen, deren Felder zu einem großen Teil noch nicht erschlossen sind. Sicherlich wird sich das in Zukunft ändern, und man kann nur hoffen, dass die Natur bei der Ausbeutung nicht zerstört wird. Auch gibt es in Kanada die große Sorge, dass man wertvolle Rohstoffe an den reichen Nachbarn USA verschleudern könnte, so wie das in Südamerika Jahrzehnte praktiziert wurde. Immer wieder ist speziell dies ein heißes Wildrich Weltreise Sault Saint MarieThema kanadischer Politik.

Die 400 km bis Sault Saint Marie gestalten sich als wunderschön. Eng schmiegt sich die gut ausgebaute Straße an das felsige Ufer des Sees. Große Tannenwälder trennen die wenigen Ortschaften voneinander. Zu meiner Rechten habe ich den Blick frei auf den See, dessen anderes Ufer ich auch hier nicht sehen kann, denn es liegt mehrere 100 Kilometer entfernt. Komischerweise merkt man dennoch, dass es sich nicht um ein Meer handelt. Der frisch-herbe Salzgeruch fehlt, wenngleich es aber Möwen gibt.

Es herrscht heute nur wenig Verkehr, und so hänge ich mich in einigem Abstand hinter einen LKW, der mit 120 Stundenkilometern durch die Kurven jagt. Es handelt sich um einen Langholztransport. Der Duft der frisch geschlagenen Stämme steigt mir in der Nase.

Am späten Nachmittag erreiche ich so schließlich Sault Saint Marie, das ich mir auf Grund des Namens irgendwie märchenhaft vorgestellt habe. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Industriestadt, die in erster Linie von einem großen Hüttenwerk lebt. Sieht man aber von diesem Monster ab, ist es doch recht hübsch. Die freundliche Mitarbeiterin des Touristenbüros schlägt mir vor, dass ich die Nacht in der kleinen, zentral gelegenen Jugendherberge, dem "Algonquin Hotel", verbringe soll.Wildrich Weltreise

In diesem ehemaligen Hotel bekomme ich für nur 28 Dollar ein passables Einzelzimmer mit Blick auf den Parkplatz. Die Duschen liegen zwar auf dem Gang und es gibt auch kein Telefon, aber sonst bin ich sehr zufrieden. Das Haus hat irgendwie Stil, mit seinen hellblauen Teppichen und gelben Wänden. An der Rezeption erfahre ich, dass die Bücherei mit Internetanschluss ganz in der Nähe liegt, und dass man im Keller des Hauses ein eigenes Theater hat, wo heute Abend für

5 Dollar eine Vorstellung gegeben wird. So verzichte ich gerne auf einen Fernseher.

Die Wolken haben sich bis zum Abend gänzlich verzogen. Ich genieße die warme Sommerluft bei einem Spaziergang durch die Stadt. "Muios Restaurant" gehört offensichtlich einer italienischen Einwandererfamilie. Das "Picata Milanese" ist hervorragend und auch der Wein aus der nahe gelegenen Regionen Niagra mundet mir.

Rundum glücklich schlendere ich an der Hafenmauer entlang zurück zum Hotel. Mir fallen erhebliche Unterschiede im Vergleich zu West-Kanada auf. Die hiesigen Häuser sind fast ausschließlich aus Ziegeln gebaut und nicht - wie ich es von dort gewohnt bin - aus Holz. Alles wirkt ein wenig mehr europäisch, die Restaurants sind kleiner und irgendwie gemütlicher.

Leider habe ich die Theatervorstellung ganz vergessen und so muss ich mich mit einem Buch aufs Zimmer zurückziehen.Wildrich Weltreise

09.08.2003

In meinem gemütlichen warmen Bett schlafe ich tief und fest in dieser Nacht. Erst spät wecken mich helle Sonnenstrahlen, die durch das offene Fenster auf mein Gesicht fallen.

Gestern Abend habe ich beschlossen, noch einen weiteren Tag hier zu bleiben und dieses schöne Städtchen zu genießen.

In "Mary's Restaurant" frühstücke ich für sage und schreibe 1,99 Dollar! Wo gibt es so was heute noch? Die Einrichtung stammt vermutlich noch aus den fünfziger Jahren, nur eine Mikrowelle und ein Kühlschrank scheinen mir neueren Datums zu sein. Der Tresen gibt den Blick auf die Küche frei. Dort brutzeln Speck und Eier und verbreiten einen unwiderstehlichen Duft. Auf Hockern davor sitzen in erster Linie Rentner, die sicherlich Stammkunden sind. Kellnerin und Gäste sprechen sich mit Vornamen an und ich bemerke, wie einige Kunden ihr Frühstück bekommen, ohne es zu bestellen. Offensichtlich kennt man sich hier.

Heute ist es kälter als in den vergangenen Tagen.  Das Thermometer zeigt nur sieben Grad, es liegt sogar ein wenig Nebel über dem Hafen.  Ich werde wieder müde. Motorradfahren ist anstrengender als eine Reise im Auto,  so freue ich mich über den heutigen Ruhetag. Ich verbringe ihn in erster Linie schlafend im Bett.

Erst spät am Nachmittag verlasse ich mein Zimmer noch einmal, um über eine Brücke nach Michigan in die USA zu fahren. Gleich hinter der Grenze gibt es den amerikanischen Teil von Sault Saint Marie, der mir allerdings nicht so gut gefällt wie der kanadische. Ich kann es kaum beschreiben, alles wirkt auf mich ein wenig liebloser. Die etwa einstündige Wartezeit an der Grenze hätte ich mir auch sparen können.

Vor den Anschlägen des 11. September war es sehr einfach, die US-Grenze zu passieren. Im Normalfall wurde man als Kanadier von den Beamten einfach durch gewunken, hatte bestenfalls seinen Führerschein als Identifikation dabei. Damit ist es jetzt aber auch hier vorbei und man verlangt auch von kanadischen Gästen einen Reisepass. Grenzgänger werden sogar fotografiert und registriert und immer wieder kommt es zu Problemen bei Kanadiern arabischer oder indischer Herkunft, denen man manchmal die Einreise verweigert.

Zurück in der Jugendherberge höre ich, wie aus dem Keller Stimmen und Gelächter an die Rezeption dringen. Ich hatte bisher nicht bemerkt, dass sich dort eine Kneipe befindet. Für nur zwei Dollar gibt es ein frischgezapftes Bier! Das ist sehr preiswert für kanadische Verhältnisse, und so mache ich mich mit einem Glas und meinem Tagebuch an der Theke breit.

Links von mir schläft ein asiatischer Tourist auf seinem Barhocker und rechts unterhalten sich zwei Frauen. Eine von ihnen ist den Tränen nahe und erzählt der anderen schluchzend ihr Leid. Gerade hat sie sich von ihrem Freund getrennt, der offensichtlich ein Fiesling und Frauenheld ist. Dennoch weint sie in nach, beklagt ihre Lage. Wie konnte sie es nur dazu kommen lassen? Ihre ganzen Ersparnisse hätte er aufgebraucht und in seine Harley gesteckt. So ist das mit Männern und Motorrädern. Welch ein Unglück!

10.08.2003

Weniger als 1.000 km trennen mich jetzt noch von meinen diesjährigen Ziel, Toronto. Da ich ein sogenanntes "Stand-by Ticket" für den Flug nach Deutschland habe, ist es egal, wann ich fliege. Urlaub habe ich noch ca. eine Woche,  ich beschließe, die Reise langsam ausklingen zu lassen und nicht zu hetzten, wie ich es in den USA getan hatte.

Der Verkehr hier im Süden Ontarios ist viel dichter als in den vergangenen Wildrich Weltreise einer meiner letzten Tage. Gleich wird es regnen.Wochen. Die Fahrer halten sich auch selten an die Geschwindigkeitsbegrenzung.  Ob es wohl Stadtmenschen sind?

Den Lake Superior habe ich jetzt hinter mir gelassen und fahre heute am Ufer des nicht weniger imposanten Lake Huron entlang. Das Land ist jetzt flach, auf den Wiesen neben dem

Highway 17 weiden Kühe. Die Fahrt geht durch kleinere Ortschaften mit interessanten Namen wie "Blind River" oder "Whitefish Falls". Es sind relativ unbedeutende Dörfer, mit einer Tankstelle, ein paar Häusern und einem Restaurant.

Vom See her weht ein kalter Seitenwind, so dass ich über eine längere Strecke in Schräglage fahren muss. Das erinnert mich an Neu-Mexiko und Texas. 10.000 km und fünf Monate trennen uns. Was habe ich nichts alles erlebt und gesehen in dieser Zeit!

Ich zögere meiner Ankunft in Toronto noch um einen Tag heraus und mache einen Umweg. In der kleinen Siedlung Mc Kerrow biege ich auf den Highway 6 in Richtung Espanola und South Baymouth ab. Über eine Brücke gelange ich so auf die im Lake Huron gelegene Insel "Manitoulin Island". Etwa 100 x 40 Kilometer lang, liegt sie umgeben von mehreren kleinen Inseln vor der Küste Ontarios. Zerklüftet durch zahlreiche Buchten und felsige Anhöhen zeigen sich mir wilde, naturbelassene Landschaften.

Auch andere Motorradfahrer haben erkannt, wie schön und kurvenreich die Straßen hier sind. Auf dem engen Highway begegnen mir zahlreicher Biker, alle grüßen mich. Eine Gruppe BMW Fahrern knattert an mir vorbei, eine Suzuki Hayabusa überholt mich mit mindestens 200 Sachen. Würde der Fahrer von der kanadischen Polizei gestoppt, hätte er schlechte Karten.Wildrich Weltreise Auf dem Lake Huron.

30 Dollar zahle ich für die Fähre, auf die ich noch zwei Stunden warten muss. Sie soll mich wieder auf das Festland zurückbringen. Ich reihe mich hinter den wartenden Autos ein und gehe spazieren eine Weile spazieren.

All die ich den Helm abnehme, rieche ich den wohlvertrauten Duft von in Zeitungspapier eingewickelten Fritten. Kindheitserinnerungen kommen auf. Wie viele andere Wartende, so kann auch ich nicht widerstehen und bestelle eine Portion mit Majonäse. Sie sind extrem fettig, aber nach der langen Fahrt genau das Richtige.

Schließlich rückt die Abfahrt näher und die Fähre läuft in den Hafen ein. Neben meiner KLR warten jetzt auch andere Motorradfahrer. Später, an Deck, lerne ich einen von ihnen kennen. Damon ist Architekt in New York und mit einer Triumph unterwegs durch Ontario und Neu-England. Schnell stellen wir fest, dass wir auf einer Wellenlänge sind und gehen gemeinsam Kaffee trinken. Er ist begeistert von meinen Reiseplänen und erzählt, dass er selber in jungen Jahren viel unterwegs war. Noch zu Zeiten des Ostblocks ist er per Fahrrad von Budapest bis nach Prag gefahren, auch in Indien war er schon mit seiner Frau.

Motorrad fährt Damon schon seit frühester Jugend, und obwohl er in New York ein Auto hat, nutzt er meistens das Bike, um Kunden und Baustellen zu besuchen. So gäbe es seltener Parkplatzprobleme, sagt er.

Leider sind wir schon nach etwa zwei Stunden im Hafen von Tobermory und müssen die Fähre verlassen. Da wir nicht in die gleiche Richtung fahren wollen, trennen sich unsere Wege viel zu schnell. Gerne wäre ich mit ihm eine Weile gemeinsam gefahren.

Langsam geht die Sonne hinter meinem Rücken unter. In einer Kolonne geht es in schnellem Tempo weiter auf dem Highway 6 Richtung Süden. Bruce Peninsula ist eine Halbinsel östlich von Toronto im Lake Huron. In den zahlreichen Buchten gibt es viele Motels und auch Campingplätze, aber auf Grund des Wochenendes ist leider alles ausgebucht. So fahre ich von einem Platz zum nächsten, nur um immer wieder zu hören, dass man mich nicht aufnehmen kann.Wildrich Weltreise

Im Städtchen Owen Sound  bin ich der Verzweiflung nahe und will es gerade in einem teuer und luxuriös aussehenden Hotel versuchen, da fällt mir in der Einfahrt eine orangefarbene Triumph auf. Tatsächlich steht Damon an der Rezeption und verhandelt mit dem Besitzer. Er lächelt mir zu und gemeinsam versuchen wir, ein Zimmer zu ergattern. Leider ist auch hier schon alles vergeben, aber man telefoniert für uns herum und bringt in Erfahrung, dass es in einem nahe gelegenen Hotel noch ein Zimmer für 150 Dollar gibt. Das überschreitet mein Budget bei weitem, aber was will ich machen? Längst ist es dunkel geworden, und in dieser Gegend nachts Motorrad zu fahren, ist auf Grund von Wildwechsels viel zu gefährlich. Außerdem bin ich müde und geschafft.

So verbringe ich den Abend mit Damon in einer gemütlichen Kneipe bei Gemüseeintopf und Bier. Als Amerikaner, speziell als New Yorker, fallen ihm viele Unterschiede zu den USA  auf. Er berichtet, dass die Menschen hier freundlicher und zugänglicher seien, als er es gewöhnt ist.Wildrich Weltreise die Chopperfraktion auf der Fähre

Auch die kanadische Haltung in Sachen Irak-Krieg gefällt ihm. Er ist Pazifist, hat deshalb kein Verständnis für die Vorgehensweise seiner eigenen Regierung. Er meint, dass es wichtigere Probleme in Amerika gäbe, als die Lage im Nahen Osten. In New York sieht er täglich extreme Reichtümer neben bitterer Armut. Es sei eine Schande, dass nicht mehr Steuergelder in Schulen und Familien gesteckt werden, sagt er.

Nach mehreren Glas Bier machen wir uns zu Fuß auf den Weg zum Hotel. Tief und fest werde ich in dieser Nacht schlafen und morgen nach Toronto fahren.

11.08.2003

Heute will ich Toronto erreichen. Nach gut 22.000 km USA und Kanada werde ich dort mein Motorrad für den Winter einmotten.

Ein Freund meiner Familie, den ich zuletzt vor etwa zwanzig Jahren gesehen habe, hat etwa eine Stunde außerhalb des Stadtzentrums ein Haus in Orangeville. Erst vor kurzem habe ich mit ihm telefoniert. Robert war sehr freundlich und hat mich eingeladen, ein paar Tage zu bleiben, bevor ich zurück nach Deutschland fliege. Im nächsten Frühling komme ich dann zurück, um meine Reise in Richtung Mexiko fortzusetzen.

Ein letztes Mal packe  ich meine Sachen und belade das Motorrad, dann mache ich mich auf kleinen Landstraßen auf den Weg Richtung Orangeville. Ich passiere Farmen und immer öfter auch Siedlungen mit Bungalows. Die viertgrößte Stadt Nordamerikas - Toronto - ist jetzt schon ganz nahe, der Verkehr dicht. Zunehmend muss ich an Ampeln halten. Das hatte ich schon eine ganze Weile nicht mehr. Viel zu schnell geht es. Ich ertappe mich dabei, wie ich Umwege mache, um ja nur noch nicht anzukommen. Heute fällt es mir sehr schwer, die Reise abzubrechen. Im Vergleich zur US-Etappe hatte ich fast nur gutes Wetter in Kanada und traumhaft schöne Straßen. Längst vergessen ist der Schneesturm in Oklahoma oder der starke Regen in Oregon, welcher mich fast zur Verzweiflung trieb.

Was bleibt, sind in erster Linie schöne Eindrücke. Landschaften, Gesichter, Städte und Momente, die mir hoffentlich noch lange in Erinnerung bleiben werden.

Robert und seine Frau Tracy empfangen mich mit viel Herzlichkeit und Wärme. Ihr Familienleben mit drei Kindern steht in scharfem Kontrast zu meinem einzelgängerischen Dasein.  Dennoch genieße ich diese Zeit sehr. Denke an die vergangenen Wochen, schlafe, esse und warte mein Motorrad. In meinem Gästezimmer gibt es einen Kamin, vor dem ich viele Stunden mit meinem Tagebuch verbringe.

Wie auch ich, ist Robert ein Immigrantenkind und wir haben deshalb einige Gemeinsamkeiten. Bis spät in die Nacht sitzen wir mit Tracy am gemütlichen Küchentisch, trinken Wein und essen hervorragende Steaks. Die Kinder sind immer mittendrin, aber trotzdem unauffällig. Obwohl sie zu dritt sind, gibt es keinen Streit, sondern sie spielen gemeinsam und tummeln sich. Nie fällt ein lautes Wort, alle kennen ihre Grenzen.

Ich freue mich schon jetzt, im Frühling wieder hierher kommen zu dürfen.

12.08.2003Wildrich Weltreise Robert, ein Freund der Familie.

Ich habe gut geschlafen in dieser Nacht. Noch eine ganze Weile liege ich ruhig im Bett. Ich muss darüber nachdenken, wie leicht sich oft Probleme von selbst lösen. Als ich meine Eltern in Quesnel verlassen hatte, wusste ich noch nicht, wo ich das Motorrad für den Winter unterstellen kann. Nur das Rückflugticket von Toronto hatte ich schon. Vor etwa einer Woche dann meldete sich Robert nach Jahren bei meinen Eltern und fragte unter anderem auch nach mir. Wildrich Weltreise Andreas, der SohnSofort erklärte er sich bereit, mir zu helfen.

Heute ist es also soweit, ich muss wieder nach Deutschland. An einer Tankstelle in Orangeville mache ich einen Ölwechsel und wasche das Motorrad gründlich. Zurück in Roberts Gartenhaus klemme ich die Batterie ab und mache die KLR winterfest. Sie wird unter einer Plastikplane auf mich warten.Wildrich Weltreise sind wir nicht süß? Später brechen wir mal Herzen....

Pünktlich um 16:00 Uhr kommt das bestellte Taxi und holt mich ab. Bei strömendem Regen geht es zum Flughafen. Hektisch schlagen die Scheibenwischer den starken Regen zurück, die Klimaanlage kommt nicht gegen die beschlagenen Fenster an. Die Fahrerin erzählt mir während der etwa einstündigen Fahrt ihre komplette Lebensgeschichte. Mit nur einer Hand am Steuer gestikuliert sie wild und achtet nicht besonders auf den übrigen Verkehr. Angeschnallt ist sie auch nicht, ich vermute, ihr Körperumfang lässt das nicht zu. Sie berichtet von diversen Scheidungen und drogenabhängigen Kindern, die ihr das Leben zur Hölle gemacht haben. Wildrich Weltreise Mama aus der Perspektive einer zweijährigen....Kaum hatte sie Zeit, Luft zu holen, so sehr plappert sie auf mich ein.

Schließlich erreichen wir das Terminal und der Wagen kommt zum Stehen. Höflich bedankt sie sich bei mir, dass ich zugehört habe. Selten habe sie sich so gut unterhalten! Und ich bekomme  einen Sonderpreis,  zahle nur 50 statt 70 Dollar.

 

[Home] [Weltreise] [Osteuropa] [USA] [Kanada]