Mississippi-Nebraska

05.04.2003

Die Fahrpause gestern hat mir gut getan. Ich kann mich gar nicht so recht mit dem Gedanken anfreunden, heute wieder fahren zu müssen. Ab und zu wird das Reisen zu einer Pflichtveranstaltung, vor allem dann, wenn ich das Gefühl habe, nette Menschen getroffen zu haben, die ich nur ungern verlassen möchte.Wildrich Weltreise Thomas mit seinem Bike

Dave hatte mir gestern vorgeschlagen, einem kleinen Umweg zu machen. So fahre ich westlich von Cleveland entlang des Mississippi, der hier wie braune Brühe aussieht.  An den breiten Ufern stehen alte Eichen und Pappeln. Auf der anderen Seite der Straße sehe ich unzählige Fischteiche, in denen die Cat-Fische gezüchtet werden. Vorbei an Blumenwiesen geht die Fahrt, bis ich hinter Greenville Mississippi verlasse und über den gleichnamigen Fluss nach Arkansas einreise.

Im Besucherzentrum besorge ich mir neue Straßenkarten. Die nette Frau im Büro versorgt mich mit Gratiskaffee und Keksen. Sie hat heute nicht viel zu tun und freut sich über die Abwechslung. So reden wir eine Weile über das Wetter und andere unwichtige Dinge.Wildrich Weltreise auch nichtmotorisierte Biker grüßen in den USA. Oft auch Autofahrer.

Ich komme heute einfach nicht richtig in die Gänge. Die KLR läuft auch noch nicht zu meiner Zufriedenheit. Die Inspektion gestern hat anscheinend das Problem nicht beheben können. Ab und an stockt der Motor für den Bruchteil einer Sekunde.

Zu entspannend war der gestrige Tag - er hat mich träge gemacht. Hinzu kommt, dass die Landschaft im Vergleich zu den letzten Tagen langweilig und eintönig ist. Ich vermisse die schönen Herrenhäuser und gepflegten Vorgärten der anderen Südstaaten. So fahre ich stundenlang durch ein landwirtschaftlich genutztes Gebiet, das ziemlich eintönig auf mich wirkt. Ich beschliesse, heute zu einem Fahrtag werden zu lassen und so viele Kilometer wie möglich zu schaffen. So geht es dann vorbei an Städten wie Warren und Camden und erst am späten Nachmittag bekomme ich ein wenig Abwechslung.

Ganz plötzlich werde ich von einer Honda Goldwing überholt.  Da der Fahrer ein Arkansas-Kennzeichen hat und sich bestimmt auskennt, beschließe ich, ihm zu folgen. Schneller als die Polizei erlaubt, fahre ich ca.  500 m hinter ihm her, mehrere Stunden lang.  Unterwegs sehen wir eine "Chain Gang". Strafgefangene, in Ketten gelegt, und orangefarbene Overalls tragend, arbeiten hier am Straßenrand und sammeln unter Aufsicht bewaffneter Polizisten Müll ein. Ich dachte, so was gäbe es nicht mehr, werde aber eines Besseren belehrt und drossele vor lauter Respekt sofort meine Geschwindigkeit.

Zwischen Arkadelphia und Mena wandelt sich die Landschaft. Von einer Minute auf die andere ist man wieder in den Bergen. Die waldbewachsenen Hügel der "Ouachita Mountains" sind ein willkommener Kontrast zu der eintönigen Landschaft des Vormittages. Wildrich Weltreise Auf dem TraceEs geht jetzt vorbei an zahlreichen Picknick- und Campingplätzen.

Es ist schon recht spät am Abend, als ich Mena erreiche. Wieder ist ein Campingplatz nur unwesentlich billiger als das Motel, jedoch betrachtet mich dessen Besitzerin argwöhnisch. Offensichtlich hält sie nicht viel von Motorradfahrern, ist vielleicht auch besorgt, was für einen Gast sie sich da einhandelt. Beim Ausfüllen der Meldekarte fällt ihr meine Herkunft auf. Ich muss mir anhören, wie schlimm es doch ist, dass meine Landsleute Amerika so sehr im Stich lassen. Dies sei ein großer Fehler, sagt sie. Wir müssen uns alle vorsehen, dass Muslime und Juden nicht Überhand nehmen, um die Welt zu kontrollieren. Dann zitiert sie noch einen Bibelvers und rückt schließlich den Schlüssel raus.

Da für den ganzen morgigen Tag schlechtes Wetter mit Hagelschauern und Gewitter angesagt ist, werde ich zwei Nächte bleiben. Auf meine Frage, was ich denn ihrer Meinung nach am morgigen Sonntag machen könnte, sagt sie - wie aus der Pistole geschossen - um Wildrich Weltreise Auf dem Trace8:00 und 10:00 gäbe es Gottesdienste!

Aus der Pizzeria auf der anderen Straßenseite besorge ich mir was zu essen und gehe früh ins Bett.

06.04.2003

Ich bleibe also noch einen Tag und eine Nacht in Mena.Tagsüber lese ich, gehe zu McDonalds, hole Kaffee, gucke viel TV und ruhe mich aus.

Ab Mittag schwere Gewitter, Regen, Schnee und Hagelschauer.

Ich bin froh, nicht gefahren zu sein.

Erst gegen 23 Uhr gehe ich ins Bett.

07.04.2003

Ich will noch warten, bis sich der dichte Nebel draußen ein wenig aufgelöst hat.

Gestern habe ich gefaulenzt.

Heute  MUSS  ich aber weiter, denn eine Schlechtwetterfront ist auf dem Weg in die Gegend, die vor mir liegt. So verlasse ich Mena gegen 9:00. Die etwas unangenehme Besitzerin des Motels gibt mir noch Gottes Segen mit auf den Weg. Ich muss darüber nachdenken, wie sich ihre Vorurteile den Muslimen und Juden gegenüber mit ihrem eigenen Glauben und der Nächstenliebe vereinbaren lassen.Wildrich Weltreise Mein Motel in Mena

Von Mena aus fahre ich über den Highway 59 in Richtung Oklahoma. Gleich hinter dem Ortsausgang fängt es leicht zu schneien an. Es ist empfindlich kalt und zum ersten Mal seit Oregon trage ich wieder meine dicken Winterhandschuhe. In Oklahoma werde ich von einem eisigen Wind in Empfang genommen. Ich halte oft an, um mich in Tankstellen aufzuwärmen und Kaffee zu trinken. Im Besucherzentrum hole ich wieder neues Kartenmaterial und beobachte an einem kleinen See eine eigenartige Vogelart, die ich von Kanada her kenne. Es handelt sich um Zugvögel, und ich glaube jetzt zu wissen, wo sie den Winter verbringen!

In Wetumka treffe ich an einer Tankstelle einen „echten“ Harley-Biker! Stolz, wie er ist, trotzt er dem schlechten Wetter mit einem T-Shirt und Sonnenbrille. Seine Tätowierung gibt preis, dass er sein Motorrad mehr liebt als seine Mutter! Ich kann mir nicht helfen, der Mann ist verrückt, wenngleich er natürlich unglaublich cool aussieht.

Klaus hat mir heute eine E-Mail geschrieben und mir mitgeteilt, dass er es gut bis in die Florida Keys geschafft hat. Er ist jetzt auf dem Rückweg und wird bald wieder nach Deutschland fliegen.

Die nächsten Staaten auf meiner Reise werden nur selten besucht. Oklahoma, Kansas und Nebraska haben sich in erster Linie auf Landwirtschaft spezialisiert.  Die wenigen Touristen, die sich hierher verirren, bleiben in den größeren Städten wie Lincoln oder Oklahoma City. Seit den Zeiten der großen Depression, damals in den dreißiger Jahren, stehen hier viele Bauernhäuser leer und verrotten langsam. Die ehemaligen Besitzer sind längst fortgezogen. Große Farm-Konzerne haben viele mittelständische Betriebe geschluckt bzw. zusammengelegt. So sind große landwirtschaftliche Flächen entstanden, die in Monokulturen beackert werden. Mais spielt die wichtigste Rolle. Die schachbrettartig angelegten Straßen verlaufen ohne Kurven Richtung Norden oder Westen. Hinter der Stadt McAlister biege ich auf den Highway 75 ab, der mich über kurz oder lang  nach Kanada bringen wird.Wildrich Weltreise Dauerregen und eine Pause. Ich schlafe fast den gesamten Tag

Ohne Frage befinde ich mich jetzt auf dem Rückweg. Ich fühle mich hin- und hergerissen. Einerseits freue ich mich darauf, bald meine Schwester und die Eltern wieder zu sehen, auf der anderen Seite geht langsam aber sicher ein Traum zu Ende. Die US-Etappe meiner Weltreise sollte ein Highlight werden. Das ist sie auch, da besteht kein Zweifel. Ich habe einen guten Eindruck von Amerika gewonnen und hatte das Glück, viele freundliche Menschen kennen zu lernen. In ein paar Wochen arbeite ich dann schon wieder in Deutschland, um Geld für die nächste Etappe - Kanada im Sommer  - zu sparen.

In Oklahoma gibt es sehr viele Indianer, die hier in großen Reservaten leben. Diese haben Ausmaße wie kleine deutsche Länder. Das "Osage Indian Reservat", das ich am späten Nachmittag erreiche, hat einen Durchmesser von ca. 100 km. Die Bewohner nutzen ihre Sonderrechte auf den Reservaten, Spielkasinos zu errichten und zollfrei Zigaretten und Benzin zu verkaufen. So sind einige Indianerstämme recht wohlhabend geworden.

Der Schnee lässt heute nicht nach und bei Kilometer 600 habe ich die Schnauze voll. Gott sei Dank waren die Flocken klein und blieben durch den Wind nicht auf der Straße liegen. So hatte ich keine Probleme, durchzukommen, kann aber nur hoffen, dass ich morgen mehr Glück haben werde und dem schlechten Wetter davonfahren kann. So verbringe ich heute die Nacht in dem kleinen Bauernstädtchen Blackwell.

08.04.2003

Die Sonne geht auf, als ich Blackwell verlasse. Gott sei Dank schneit es nicht mehr, wenngleich auch ein kalter Nordwind herrscht. Er kommt aus Kansas und kann um diese Jahreszeit noch viel Schnee mit sich bringen. Der kleine Highway 11 ist eine wenig befahrene Straße. Vor 80 Jahren war das sicherlich noch anders. Damals, vor der großen Depression, galten Oklahoma und Kansas als die Kornkammern Amerikas. Dann jedoch setzte eine mehrjährige Dürre ein und laugte den Boden aus. Der starke Wind, dessen Boeen auch ich heute zu spüren bekomme, hat damals den Mutterboden der Farmen weggeweht. Seitdem trägt diese Gegend auch den Namen "Dust Bowl", was wörtlich übersetzt "Staub-Schuessel" heisst.

Die ruinierten Farmer zogen in die Städte, um Arbeit zu finden und überließen das Land sich selbst. Unzählige kleine Dörfer haben sich nie erholt und so sieht man noch heute viele sogenannte "Ghost Towns" mit windschiefen Häusern und Höfen, die leer stehen.

In einem der noch bestehenden Dörfer, Buffalo, frühstücke ich am frühen Nachmittag. Das kleine Kaffee ist Mittelpunkt des Dorfes,  ein Großteil der Bewohner sitzt hier zusammen. Ich bin mir sicher, dass ich mit meiner Aufmachung noch mehrere Tage Gesprächsthema sein werde. Motorradtouristen ist man hier ganz bestimmt nicht gewöhnt.

Das schlechte Wetter der letzten zwei Tage hat mich unruhig gemacht. Ich spiele mit dem Gedanken, jetzt so schnell wie möglich zurück zu meiner Schwester zu fahren. Ich bin zu früh im Jahr unterwegs, um die Landschaft hier genießen zu können. Es scheint mir eine gute Alternative, mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen.

Heute habe ich sehr wenig Verkehr auf der Straße. Zeitweilig sehe ich eine ganze Stunde lang kein anderes Fahrzeug. Die kleinen Dörfer liegen 50 und mehr Kilometer voneinander entfernt und unbedeutende Namen wie "Mocane" und "Camp Houston" verraten mir, dass es sich um Ein-Haus-Dörfer handelt. Weil die meisten von ihnen kein Ortsschild haben, orientierte ich mich an meinem Kilometer-Zähler. Bei meinem in Kanada gekauften Motorrad wird die Geschwindigkeit im metrischen System angegeben, deshalb muss ich die amerikanischen Meile mit 1,64 multiplizieren, um die Kilometer zu erhalten. Mit der Zeit bin ich so ein recht guter Kopfrechner geworden.

Ich verlasse Oklahoma auf dem Highway 83, der über die Grenze nach Kansas und in die Stadt Liberal führt. Städte wie Liberal sehe ich alle 200 bis 300 km. Es sind größere Kreisstädte, die einen richtigen Supermarkt  und administrative Bürogebäude haben. Landmaschinenhändler an den Ein- und Ausfallstraßen zeigen an, wie die Menschen hier ihr Geld verdienen.

Liberal hat sogar einen kleinen Flughafen und die dazugehörige Touristeninformation. Noch immer sind Frühlingsferien und die junge Frau,  die mir Kansas-Straßenkarten gibt, ist bestimmt Schülerin. Ohnehin stelle ich wieder fest, dass in Nordamerika viel mehr Schüler arbeiten als in Deutschland. Viele der Arbeitnehmer in Schnellrestaurants sind entweder Teenager oder am Vormittag, wenn diese in der Schule sind, Rentner.

Irgendetwas zieht mich nach Norden. Ich habe keine Ahnung, was es sein könnte, vermute aber, dass das Wetter noch schlechter wird. Auch läuft mein Motorrad in den letzten Tagen nicht mehr ganz rund und wieder frage ich mich, warum wohl. Der Spritverbrauch ist um 20 Prozent gestiegen, das kann nicht nur an meiner Fahrweise liegen. Durch den mittleren Westen fahre ich im Durchschnitt 120 km/h, was für die USA sehr schnell ist.

So gelange ich heute nach Syracuse, einer dieser Bezirksstädte, die ich noch näher kennen lernen will. An einer Tankstelle unterhalte ich mich mit der Kassiererin. Ich erfahre, dass die ganze Gegend ausschließlich von der Landwirtschaft lebt. Die Haupteinnahmequelle der Bauern ist der Mais,  der hier auf gewaltig großen Flächen angebaut wird. Unter der Bevölkerung  gibt es ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl. Vereine und auch Institutionen wie die Freiwillige Feuerwehr schweißen zusammen und es ist selten, dass Fremde Fuß fassen. Ohnehin wird diese Gegend eher verlassen, als dass Menschen zuziehen. Speziell die Jugend geht nach Beendigung der High School in die Hauptstädte wie Lincoln oder Kansas City. Dort bekommen sie eine gute Ausbildung und kehren oftmals nicht zurück. So kommt es, dass die Landwirtschaft in Amerika ein großes Nachwuchsproblem hat, das mit fortschrittlichen großen Landmaschinen aufgefangen werden muss.

Wieder habe ich eine Zeitzone durchfahren und stelle meiner Uhr eine Stunde zurück. Es wird dunkel, als ich mein kleines Motel erreiche. Bevor ich schlafen gehe, rufe ich noch bei meinen Eltern an. Bei dieser Gelegenheit erfahre ich, dass mein Vater heute Morgen einen Herzinfarkt erlitten hat.

09.04.2003

Nun weiß ich also, warum ich mich in den letzten Tagen so gehetzt habe. Gleich nach dem Aufwachen rufe ich meine Mutter an und hoere, dass mein Vater im Krankenhaus auf der Intensivstation liegt. Meine Eltern wohnen in einer kleinen Stadt, die - Gott sei Dank - ein eigenes Krankenhaus hat.

Ich biete an, meine Reise abzubrechen, um nach Hause zu fliegen. Meine Mutter jedoch ist der Meinung, dass dies nicht im Interesse meines Vaters wäre. Ohnehin könne ich nicht viel helfen, ich solle lieber versuchen, die Zeit der restlichen Fahrt zu genießen so gut es geht. Da ich aber weiß, dass dies jetzt nicht mehr möglich sein wird, beschließe ich, ohne große Umwege nach Kanada zu fahren. Es sind auf der kürzesten Strecke noch etwa 3.000 km. Ich werde bestimmt noch eine Woche unterwegs sein.

Wenn Leute mich vorher gefragt haben, wie ich mir das mit meiner Weltreise denn vorstelle, habe ich immer gesagt, dass ich zwar vorhabe, die Welt per Motorrad zu bereisen, ich mir aber bewusst bin, dass Vieles dazwischen kommen kann und es definitiv wichtigere Dinge gibt. Ich habe das Gefühl, dass genau dies jetzt eingetreten ist und meine Familie mich Wildrich Weltreise der Mississippibraucht.

So sitze ich also in Syracuse/Kansas am Frühstückstisch eines kleinen Truck-Stops und plane die Reiseroute zurück. Heute werde ich über Colorado nach Nebraska fahren und dabei ca. 600 km zurücklegen. Das Wetter hat sich ein kleines bisschen gebessert. Als ich die Grenze zu Colorado erreiche, scheint die Sonne.

Hinter der Stadt Lamar biege ich wieder nach Norden ab und folge dem Highway 287 bis nach Limon. Links von mir sehe ich heute in einiger Entfernung die wunderschönen, schneebedeckten Gipfel der Rockies. Das Land ist weit und eine Augenweide. Auch hier sind die Dörfer weit voneinander entfernt.  Ich muss mich vorsehen, rechtzeitig zu tanken, denn viele der Siedlungen haben keine Tankstelle. Ich schaffe mit einer Füllung ca. 450 km, aber noch immer läuft die Maschine nicht so, wie ich es mir wünsche, und der Verbrauch ist höher.

Im Norden Colorados will ich gerade auf dem Highway 71 abbiegen, da stirbt der Motor. Ich lasse die Kawa ausrollen und steige ab. Benzin ist noch im Tank, der Luftfilter ist sauber. Es kann eigentlich nur der Vergaser sein, aber den hier auf offener Straße auseinander zu nehmen, ist mir zu heikel.

So warte ich ein paar Minuten und habe Glück, dass der Motor wieder startet. Weiter geht es, durch das schöne "Pawnee National Grassland". Es ist eines der letzten wilden Weidegebiete im Westen Amerikas und steht unter Naturschutz. Das lange Gras weht in  Böen und wirft Wellen. Es schimmern schöne grüne Töne im Zusammenspiel von Sonne und Wind.

Gleich hinter der Grenze wird das Wetter wieder schlechter.  Als ich die kleine Stadt Kimball erreiche und mein Zelt auf dem KOA Zeltplatz aufgebaut habe, fängt es an zu schneien. Heute werde ich eine kalte Nacht verleben und in Motorradklamotten im Schlafsack liegen und zittern. Hinzu kommen meine ängstlichen Gedanken, die sich in diesen Tagen natürlich um meinen Vater drehen, der - so sagte mir meine Mutter am Telefon - per Flugambulanz nach Vancouver geflogen werden soll.

Es gibt Tage, da fühlt man sich wie an einem Abgrund und fragt sich, wieso man sich das alles überhaupt antut. Natürlich weiß man, dass es wieder bessere Zeiten geben wird, aber diese scheinen in weiter Ferne.

Draußen fällt der Schnee, als ich mir mit Klausis Trangia-Kocher im Zelt eine Portion Spagetti zubereite.

Wildrich Weltreise Auch der Mississippi10.04.2003

Trotz der Kälte habe ich erstaunlich gut geschlafen. Meine Gore-Tex-Kombi hat mich vor dem Aergsten bewahrt. Vor dem Zelt liegt Schnee, aber es scheint jetzt schon die Sonne. Ein wildes Kaninchen läuft ganz mutig auf mich und mein Zelt zu und bemerkt erst im letzten Augenblick, dass dieses warme Plätzchen schon vergeben ist. Ich werte dies als gutes Zeichen, schüttel den Schnee von meinem Zeltdach und packe meine Sachen.

Per Telefon erfahre ich, das mein Vater noch nicht nach Vancouver geflogen wurde. Seine Situation sei stabil, sagt meine Mutter, er habe in der Nacht ruhig geschlafen.

Die KLR springt sofort an, allerdings geht sie auch gleich wieder aus, wenn ich den ersten Gang einlege. So etwas hatte ich befürchtet, eine Panne in der Mitte von Nirgendwo. Ganz in der Nähe gibt es eine Telefonzelle, und ich rufe den nächsten Motorradhändler an, der etwa 80 km entfernt in Scottsbluff sein Geschäft hat. Er schlägt vor, zu versuchen, mit geöffneter Luftklappe zu fahren und diese erst bei Erreichen der Geschwindigkeit zu schließen.

Tatsächlich funktioniert das auch und ich erreiche Scottsbluff ohne weitere Probleme. War es heute Nacht noch empfindlich kalt und hat es geschneit, so sind es jetzt um 10 Uhr schon 30 Grad Celsius. Ich bin überrascht, wie schnell sich das Klima hier ändert.

Die riesigen "Sand Hills“ in Nebraska erstrecken sich über mehrere 100 km und eignen sich landwirtschaftlich nur als Weideland für Rinder. So gibt es auch hier viele Cowboys, deren Hüte und Stiefel das Bild der Stadt prägen. Ich erfahre, dass die Kawasaki Werkstatt von Scottsbluff eine der ältesten in den USA ist. Es ist ein Familienbetrieb und der vielleicht 40-jährige Sohn schraubt mein Moped auseinander, um den Vergaser zu erreichen. Währenddessen unterhalte ich mich mit dem Senior. Lee Schwartzkopf ist Russlanddeutscher und für einen Mann aus Nebraska hat er schon viel von der Welt gesehen. Begeistert erzählt er von einem Urlaub in Frankreich und Deutschland.

Sein Sohn gesellt sich zu uns und teilt mir mit, dass er keinen Schmutz im Vergaser finden konnte. Allerdings hat er mir einen zusätzlichen Benzinfilter eingebaut, damit ein solches Problem nicht mehr auftreten kann. Er sagt, er gehe davon aus, dass Schmutz im Vergaser war, dieser aber durch das Fahren mit geöffneter Luftklappe verbrannt wurde. Oft sei der Sprit in Amerika nicht sauber, viele Tankstellen, speziell in den abgelegenen Gegenden, schludern bei der Lagerung.

Ich zahle 73 Dollar und fahre weiter Richtung Norden über das schöne "Pine Ridge“, welches im Gebiet der Sioux Indianer liegt. Tatsächlich muckt mein Motorrad nicht mehr,  ich komme zügig voran. Schon nach wenigen Stunden erreiche ich Süd-Dakota mit seinen dichten Wäldern und zahlreichen Bergen.Wildrich Weltreise Mississippi

Süd-Dakota zu sehen war mir wichtig. Der amerikanische Autor Robert M. Pirsig beschreibt in seinem Buch "Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten" eine Fahrt quer durch diesen Staat in den siebziger Jahren. Seine Landschaftsbeschreibungen  waren eine Inspiration für mich und so werde ich morgen ein Stück seiner Spur folgen.

Hinter der Stadt Hot Springs führt die Straße über Serpentinen in die Berge, in denen zum Glück heute kein Schnee liegt. Gerade fahre ich um eine Kurve, da sehe ich in der letzten Sekunde, wie ein Büffel direkt vor mir auf der Straße steht. So erschrocken bin ich, dass ich weder ein Foto mache noch mich bewege. Ich traue mich einfach nicht, so gewaltig groß ist das Tier. Später am Abend lese ich, dass Büffel sehr aggressiv sein können.

Der "Black Hills National Forest“ und der "Custer State Park“ haben  wunderschöne, alpenähnliche Landschaften. Ich erreiche am späten Nachmittag das weltbekannte "Mount Rushmore Monument“. Über 2 Millionen Besucher kommen jedes Jahr hierher, um sich die in Stein gemeißelten Köpfe amerikanischer Präsidenten anzusehen. Für mich ist der Eintritt gratis, da ich ja immer noch die Golden Eagle Karte habe, allerdings muss ich den Parkplatz bezahlen. Dieser kostet stolze 8 Dollar!

Ich bin ziemlich enttäuscht, hatte mir das alles monumentaler und schöner vorgestellt und verlasse den Ort schon nach einer Stunde. Auch hier sind die Sicherheitsvorkehrungen wieder stark. Man durchleuchtet mein Gepäck und tastet mich ab.Wildrich Weltreise

Vom Mount Rushmore Monument ist es nur eine kurze Fahrt bis nach Rapid City. Leider wird es hier in den Bergen schnell dunkel und so will ich heute nicht weiterfahren. Wieder nehme ich mir  ein preiswertes Zimmer.

Mein Vater wurde heute nach Vancouver geflogen und dort untersucht. Ich bin froh, dass er jetzt in einem großen, mit den neuesten technischen Errungenschaften ausgestatteten Krankenhaus ist. Meine Schwester wohnt nur eine Stunde entfernt, kann bei ihm sein und auch meine Mutter hat sich auf den Weg gemacht, die 700 km entfernte Klinik zu erreichen.

 

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