Alabama-Mississippi

01.04.2003

Leider habe ich nicht die geringste Ahnung, wo in Alabama mein Onkel Willy in Kriegsgefangenschaft war. Auch ein Anruf bei meiner Verwandtschaft in Berlin kann keine Aufklärung geben. Nicht, dass ich wirklich gedacht hätte, ich könnte Spuren von ihm hier finden, aber schon ein Hinweis auf eine Ortschaft hätte mir gereicht. Es soll wahrscheinlich nicht sein, und so beschließe ich, während meiner Fahrt heute viel an ihn zu denken.Wildrich Weltreise Alabama

Ich verlasse die kleine Südstaaten-Stadt Opp nach dem Frühstück. An der Ausfallstraße 331 Richtung Norden halte ich an einer Werkstatt, um Luft nachzufüllen. Die Mechaniker sind sehr hilfsbereit und freuen sich darüber, mit mir ein wenig plaudern zu können. Die beiden sind selber Motorradfahrer, gehören allerdings der Harley-Fraktion an und können sich mit dem Gedanken, per Kawasaki durch Amerika zu reisen, nicht wirklich anfreunden.

Ich bin immer wieder überrascht, dass die große Familie der Motorradfahrer so viele unterschiedliche Typen hervorbringt.

Da sind zum einen in den USA natürlich die echten Biker. Es gibt sie nur sehr selten, dafür fallen sie auf ihren lauten Choppern sofort auf. Sie tragen ölverschmierte Jacken mit Vereinsemblemen, den sogenannten "Colors". Ohne Frage sind dies die coolsten unter den amerikanischen Motorradfahrern.Wildrich Weltreise Alabama

Zusätzlich zu den echten Bikern gibt es dann auch noch die harmlose Variante. Zahnärzte, Rechtsanwälte & Co., die am Wochenende mit ihren teuren neuen Harleys eine Spazierfahrt machen. Ihre Motorräder fallen durch viel Chrom auf.  Sie investieren sie eine Menge Geld in all das Zubehör, dass die "Company" - wie Harley & Davidson auch genannt wird - auf den Markt bringt.

Amos aus Texas gehörte offensichtlich zu den echten Rockern. Schon seit den 70er Jahren ist er mit einer alten Harley Knucklehead unterwegs. Er ist aber in letzter Zeit zunehmend frustriert durch das neue Image der Chopper. Früher, so sagt er, hätte man ihn sofort an seiner Lederjacke erkannt, heute aber fragen die Leute, ob er nur die Jacke trägt oder auch das passende Motorrad dazu hat.

Dann gibt es natürlich noch die große Gruppe der Fahrer, die schnelle Motorräder japanischer und italienischer Hersteller bevorzugen. In modisch-bunten Lederoveralls - oder leichtsinnig in kurzen Hosen - rasen sie in Großstädten von einer Ampel zur nächsten und machen dabei einen Höllenlärm. Mangels deutscher Autobahnen und wegen der Geschwindigkeitsbegrenzungen müssen sie ihre PS-Monster zügeln und befriedigen ihren Geschwindigkeitdrang damit, innerhalb der Wildrich Weltreise AlabamaStädte im ersten oder zweiten Gang unterwegs zu sein.

In letzter Zeit sieht man auch in Nordamerika viele BMWs auf den Straßen. Oft sind die Fahrer im Rentenalter, machen gemeinsam mit ihrem Partner Ausflüge oder aber auch große Reisen quer durch das Land. Die meisten Langstreckenfahrer, die ich treffe, fahren wirklich auch hier BMW, allerdings selten die kleineren Modelle, sondern schon eher die große GS oder LT.

Ich passe mit meiner japanischen Enduro in keine dieser Kategorien. Das ist mir auch recht angenehm, denn so kann man mich nicht einfach in einer Schublade stecken.

Das tägliche Überprüfen des technischen Zustandes meines Motorrades ist Routine geworden. Den Luftdruck checke ich ohnehin mehrmals am Tage, ich kann mir nicht helfen. Zusätzlich dazu sehe ich nach dem Licht und der Elektroanlage sowie den Füllständen von Kühlung und Bremsen.

Heute geht es auf der kurvigen 331 Richtung Norden. Wieder fahre ich durch eine schöne Südstaatenlandschaft.  Die schmucken Häuser, die mir gestern schon aufgefallen sind, sieht man auch hier. Die meisten davon haben eine amerikanische Flagge im Vorgarten. Ohne Frage, dies eine der konservativsten und patriotischsten Gegenden der USA.

Ich bin überrascht, dass es hier auf dem Lande so viele Afro-Amerikaner gibt. Ich verbinde Schwarze und Amerika irgendwie immer mit Großstädten und leider auch mit Kriminalität. Dass es so viele wohlhabende Mittelstandsfamilien gibt, war mir nicht bewusst.

An einem Dollar General Supermarkt halte ich an, um meinen Vorrat an Getränken aufzufüllen. Freundlich grüßt mich eine farbige Familie, die ihr Auto neben meinem Motorrad geparkt hat. Die Frau spricht mich an, fragt, ob ich wirklich aus Kanada käme. Sie freue sich zu sehen, dass ich Interesse an ihrem Heimatstaat habe. Es gebe leider viel zu wenige Touristen, die sich für Alabama interessieren.Wildrich Weltreise Highway Alabama. Kein Verkehr, nette menschen, gute Straßen, was will ich mehr?

Ich frage sie, woran das liegen könnte. Sicherlich an der Geschichte der Umgebung,  meint sie. Noch immer verbinden die Leute die Südstaaten mit Segregation und Rassenunruhen.

So fahre ich von einem County ins nächste. Counties sind Regierungsbezirke, die oft den Namen der ursprünglichen Siedler der Gegend tragen. Die Ausläufer des Apalachengebirges mit ihren Hügeln und Wäldern sind Vorboten einer neuen Klimazone. Tatsächlich wird es wieder kälter.

In Rockford, Coose-County, halte ich mittags an, um an einer kleinen Tankstelle mit angeschlossenem Restaurant zu essen. Es gibt ein Menü für 5 Dollar 50. Ich bekomme Südstaaten-Hausmannskost: Mais-Brot, gebackenes Hähnchen, Okra (ein bohnenähnliches Gemüse) und Ananas-Pudding. Dazu Eistee satt.

Der Besitzer ist Koch und Kellner in einer Person. Er kommt ursprünglich aus dem Norden und ist nach der Ausbildung auf dem College hier im Süden geblieben. Er verrät mir, dass viele Menschen hier Minderwertigkeitskomplexe haben. Er sagt, die Armut der vergangenen Jahrzehnte sitzt noch tief. Erst in den letzten Jahren haben Staaten wie Alabama und Louisiana es geschafft, Industrie und damit Geld anzusiedeln. Ganz in der Nähe hat Mercedes-Benz eine Autofabrik eröffnet.

Erst langsam entwickele sich die Gegend und mit dem neuen Selbstvertrauen wächst auch das Interesse an Bildung und Kultur.

Vorbei am "Talladega National Forest" fahre ich am frühen Nachmittag bis zu einem kleinen Campingplatz, der "Cheaha" heißt. Ich bin der einzige Gast und wundere mich darüber, als ein Parkwächter auf mich zukommt, um mir mitzuteilen, dass man erst seit wenigen Tagen  für die Saison geöffnet ist.Wildrich Weltreise

Es ist noch empfindlich kalt, so verbringe ich dann den Abend am Lagerfeuer, um mich aufzuwärmen. Eine Zigarre hilft dabei.  Bevor ich für die Nacht im Zelt verschwinde, denke ich noch einmal an meinen verstorbenen Onkel Willy. Oft hat er mir von Alabama erzählt. Hier ging es ihm gut  - der Krieg war weit weg und es gab genug zu essen.

02.04.2003

Es ist eine windige Nacht. Um 5 Uhr halte ich den Lärm des flatternden Zeltdaches nicht mehr aus und stehe auf. Draußen ist es noch dunkel, aber das Licht des Mondes reicht mir, um mein Zelt abzubauen und zusammen zu packen.

Es ist kalt, als ich 30 Minuten später den Zeltplatz verlasse und durch den Wald ins Morgengrauen fahre. Nach etwa einer Stunde erreiche ich die Stadt Anniston und wärme mich dort an einer Tankstelle mit einem großen Becher meines geliebten Vanille-Kaffees auf.

Die meisten Zapfsäulen der SB-Tankstellen in den größeren Städten haben einen Schlitz, in den  man seine Kreditkarte einführt, bevor man zapfen kann. So braucht man nicht beim Kassierer zu bezahlen. Mir ist es sogar passiert, dass man sich weigerte, Bargeld anzunehmen.

Leider kann ich heute nicht auf kleine Straßen ausweichen, und so verbringen ich einen Großteil des Tages damit, auf den Verkehr und nicht auf die Landschaft zu achten. Viele LKWs sind jetzt in der Mitte der Woche unterwegs und überholen mich mit 120/130 Stundenkilometern. Trucks fahren hier in Amerika viel schneller als in Deutschland, und oft ziehen sie hinter sich eine Windschleppe her, Wildrich Weltreisederen Turbulenzen die Motorradfahrer stark durchschütteln.

Ohnehin ist es sehr windig und ungemütlich heute. Erst, nachdem ich den Tennessee River überquert und im gleichnamigen Staat unterwegs bin, wird es ein wenig wärmer. Ich will heute nahe der Stadt Lawrensburg übernachten. Den "David Crocket" Campingplatz erreiche ich am Nachmittag.

Das Wetter ist jetzt freundlicher, der Wind hat nachgelassen. Der Park, welcher auch erst seit wenigen Tagen geöffnet hat, wird neu gestaltet. Das hat den Nachteil, dass Baufahrzeuge unterwegs sind und die Ruhe stören. Von Vorteil hingegen ist der dadurch entstandene Discount. Ich bekomme den Platz auf Grund der Baumaßnahmen zum halben Preis.

Nachdem ich mein Zelt auf einem schönen Platz unter großen Bäumen aufgebaut habe, fahre ich in die Stadt und gehe in einen Supermarkt. Heute Abend soll es Steaks geben.  Ich kaufe zwei besonders schöne, große, die bereits fertig mariniert sind. Dazu gibt es süßen Mais, den ich auf dem Grill garen will.

So sitze ich dann am frühen Abend am Lagerfeuer, warte auf die Glut und trinke eine Dose Bier, als ein junger Mann mit langen Haaren des Weges kommt und freundlich grüßt. Auch er sei Biker, allerdings zur Zeit ohne Motorisierung, sagt er. Ich biete ihm ein Bier an und schnell kommen wir ins Gespräch.

Tom ist Anthropologiestudent aus New York. Er ist 23 Jahre alt und mit dem Fahrrad von Küste zu Küste unterwegs. Er erzählt mir von seinen spannenden Erlebnissen auf der Straße, und so verbringen wir gemeinsam den Abend, trinken Bier und essen die Steaks. Wie gut, dass ich zwei gekauft hatte!.

Auch Tom erfüllt sich seinen Lebenstraum. Er hat sein Studium beendet und reist jetzt mit dem Rad quer durch die USA, bevor er ins Berufsleben einsteigt. Da er nicht viel Geld hat, schläft er ausschließlich im Zelt oder in verlassenen Häusern. Er gibt mir den Tipp, dass man prima in leerstehenden Neubauten übernachten kann. Oft würden die Bauarbeiter die Baustelle schon nachmittags verlassen, dann könne man ganz ungestört die Nacht mit einem Dach über dem Kopf verbringen. Teilweise sogar mit sanitären Einrichtungen.

Tom lebt im Durchschnitt von 5 Dollar am Tag. Auch er hat die Dollar General Läden für sich entdeckt. Für 2 Dollar bekommt er dort bereits vier Schokoriegel und eine große Packung Nudeln. Die Kohlenhydrate braucht er für die schwere Arbeit auf dem Fahrrad. Die Fahrt selber sei viel schwieriger, als er es sich vorgestellt habe. Er kenne eine viele Menschen, die wie er per Rad unterwegs seien und habe mit der Zeit großen Respekt vor deren Leistung bekommen.

Wenn er in Kalifornien an der Küste ankommt (was in etwa zwei Monaten der Fall sein wird),

will er als blinder Passagier mit einem Güterzug bis nach Alaska fahren, um sich dort einen der hochbezahlten Jobs in der Ölindustrie zu suchen. Gebannt lausche ich seinen Erzählungen und fühle mich selber ganz klein. Egal, was man selbst erlebt hat, es gibt doch immer noch andere und viel größere Abenteurer. Ich möchte allerdings nicht mit ihm tauschen, obwohl es meinem Körper sicherlich gut tun würde, eine Weile auf den Drahtesel auszuweichen.

Erst spät in der Nacht, nachdem wir Adressen ausgetauscht haben, geht er zurück zu seinem Zelt. Wir haben vereinbart, dass wir uns in Zukunft gegenseitig von unseren Erlebnissen berichten wollen. Obwohl ich zuviel getrunken habe, verbringe ich eine ruhige Nacht in meinem Zelt. Die gute Bergluft lässt mich prima schlafen.

03.04.2003

Um 7 Uhr wecken mich Bauarbeiter, die mit einem Bagger den Campingplatz umbuddeln. Ich gehe an Toms Zeltplatz vorbei und sehe, dass er schon aufgebrochen ist. Nach einer Tasse Kaffee mache ich mich auf den Weg zu einer nahe gelegenen Tankstelle. Dort kaufe ich Schokoriegel und Getränke, denn ich will versuchen, zu Tom aufzuschließen, um gemeinsam mit ihm zu rasten.

Wie ich so an der Zapfsäule stehe, um zu tanken, kommt ein Mann auf mich zu. Er ist untersetzt, trägt Baseballkappe und hat die Hände in den Hosentaschen versteckt. Etwas schüchtern betrachtet er mein Motorrad, und fragt mich dann - mit einem breiten Südstaatenakzent - nach meiner Herkunft. Ob ich denn gar nicht besorgt sei, dass mir was passieren könne, möchte er wissen. Schließlich gäbe es eine Menge böser Menschen in Amerika. Ich sage ihm, dass ich schicksalsgläubig sei und deshalb keine große Angst vor der Zukunft habe. Die Antwort gefällt ihm, ist er doch selbst ein religiöser Mann. Es stellt sich heraus, dass er Laienprediger in einer der vielen örtlichen Baptistenkirchen ist. Und so betet er, vor allen Anwesenden, für mich und wünscht mir Gottes Segen für meine Weiterreise!

Der "Natchez Trace Parkway“ ist eine amerikanische Institution. Die alte Straße führt von Tennessee durch Alabama bis nach Mississippi. Schon lange vorher haben Indianer ihn als Fußpfad benutzt. Später waren es dann Pioniere und Einwanderer, die mit ihren Ochsenkarren Richtung Westen zogen. Irgendwann wurde die Strecke dann asphaltiert, geriet aber - ähnlich wie die Route 66 - nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit. Sicherlich auch deshalb, weil er auf einer Länge von über 700 Kilometer weder durch Städte noch Dörfer führt. Auch gibt es keine Restaurants oder Tankstellen, und so muss man ihn umständlich verlassen, will man tanken oder essen.

Heutzutage ist der Highway ein Nationalpark. Nur private Fahrzeuge dürfen ihn benutzen. Schwere Vehikel, wie zum Beispiel LKWs oder sehr große Wohnmobile, dürfen ihn nicht befahren. Auf Grund seiner abgeschiedenen Lage ist die Natur sehr ursprünglich geblieben. Das viele Wild (ich

sehe Rehe, Hirsche und Greifvögel) fordert eine vorsichtige Fahrweise, die Höchstgeschwindigkeit beträgt etwa 70 km in der Stunde. All dies sind Gründe, weshalb viele Touristen die Straße meiden. Ich aber freue mich sehr an der wunderschönen Parklandschaft mit den vielen wilden Blumen und großen, alten Bäumen, die zu dieser Jahreszeit gerade in der Blüte stehen.

Nach 34 km sehe ich Tom strampelnd auf seinem Fahrrad vor mir. Er freut sich, mich zu sehen und verschlingt die Schokolade mit wenigen Bissen. Nach etwa einer halben Stunde trennen sich unsere Wege wieder. Ich fahre noch etwa 200 Kkm auf dem "Trace", wie er der Einfachheit halber genannt wird. Tom wird für die gleiche Strecke, die ich in wenigen Stunden zurückgelegt habe, vier Tage brauchen. So schaut er auch ein wenig neidisch auf mein Motorrad. Allerdings sagt er auch, dass er sich eine solche Reise nur leisten kann, weil er sie mit dem Fahrrad macht. Schon mein Budget für Sprit (10 bis 15 Dollar pro Tag) übersteigt seine Möglichkeiten bei weitem.

In der Gegend um Tupelo verlasse ich die Strasse schließlich, um über eine andere, auch landschaftlich sehr schöne,  Richtung Westen zufahren. Von einer Tankstelle aus rufe ich einen Kawasaki Händler in der kleinen Stadt Cleveland an. Meine KLR hat nun ca. 10.000 km gelaufen. Ich habe das Gefühl, irgendetwas stimmt nicht. Der Motor läuft nicht ganz so rund, wie ich es gewohnt bin. Vielleicht ist es ja auch gar nichts und ich bilde es mir nur ein.......... Aber ich will sicher sein und mache ich einen Termin für morgen früh.

Gerade hänge ich den Telefonhörer auf und drehe mich um, da sehe ich, wie dicht hinter mir zwei amerikanische Sheriffs mit verspiegelten Sonnenbrillen und Revolver an der Hüfte mein Motorrad inspizieren. Sie sind gut aufgelegt und freundlich. Wo ich denn heute noch hin wolle, mit all dem Gepäck? Sie hätten da einen Vorschlag für mich! Ich solle die Hauptstraße verlassen und auf kleinen Wegen Richtung Südosten und Cleveland fahren. Gemeinsam trinken wir noch einen Kaffee. Ich erfahre, dass sie leidenschaftliche Motocrossfahrer sind. Sie sind am Wochenende unterwegs mit ihren Zweitaktern,  fahren in den kleineren Städten der Umgebung von einem Wettrennen zum nächsten. Viele Motorradfahrer würden hier mit ihren Geländesmaschinen unterwegs sein. Solange sie nicht auf öffentlichen Straßen fahren, hat die Polizei kein Problem damit. In den Wäldern oder auf privaten Grundstücken sei es völlig in Ordnung, mit den großen Stollenreifen unterwegs zu sein.

In Cleveland habe ich wieder keine Möglichkeit zu, zelten. So beziehe ich auch hier ein Motel, diesmal im "Colonial Inn", am Rande der Stadt. Wieder ist der Besitzer indischer Herkunft.  Die vielen Fragen und Statuen in seinem Büro lassen vermuten, dass er ein großer Patriot ist. Vielleicht hat er aber auch nur Angst, dass die konservative Bevölkerung ihn fälschlicherweise für einen Araber halten könnte, was in der jetzigen Situation unangenehm sein würde. So höre ich im Fernsehen immer wieder von Überfällen auf muslimische Amerikaner, die sich in diesen Tagen des Irak-Kriegs diskriminiert fühlen.Wildrich Weltreise Alabama

Das Motel ist gleich um die Ecke vom Kawasaki Händler, den ich morgen früh aufsuchen werde. Ich mache mich mit dem Motorrad auf den Weg, die hübsche Stadt zu erkunden. In der kleinen Bücherei ist man freundlich,  freut sich über meinen Besuch. Auch hier ist es wieder kein Problem, gratis die Computer zu benutzen. Allerdings werde ich darauf hingewiesen, dass es strikt verboten sei, pornografische Internetseiten aufzurufen! Keine Frage, ich bin in den Südstaaten!!

Hier, in Cleveland, sehe ich, dass es tatsächlich Gegenden in den Südstaaten gibt, die auch heute noch segregiert sind. Farbige und Weiße leben getrennt in unterschiedlichen Vierteln. In einem Teil der Stadt, der offensichtlich von Fabrigen bewohnt ist, steige ich von der Maschine, um zu tanken. Ein wenig verdutzt schauen mich die Passanten an und denken sich bestimmt: "Das kann nur ein Tourist sein."

In einem Supermarkt warte ich an der Kasse.  Eine zierliche, blonde Frau vor mir bemerkt meine Motorradklamotten. "Endlich mal ein richtiger Mann", sagt sie und meint tatsächlich mich! Draußen auf dem Parkplatz stellen wir fest, dass wir unsere Fahrzeuge nebeneinander geparkt haben und kommen so ins Gespräch. Deborah ist ihr Name, geboren in Cleveland. Sie arbeitet als Zimmermann auf dem Bau, was ihre Statur wirklich nicht vermuten laesst.

Wir reden über den Krieg, den sie nicht gutheißt. Es gäbe in Amerika genug andere Probleme, die wichtiger wären, als ein paar ausländische Terroristen. Keine Frage,  dies sei ein Krieg, in dem es darum ginge, den amerikanischen Öldurst zu stillen. Wir verstehen uns gut, haben ähnliche Meinungen und nur das schmelzende Eiskrem in meinem Tankrucksack lässt die Unterhaltung beenden. Ich fahre zurück ins Motel.

Dort angekommen, sehe ich im Fernsehen einen Krimi. Vor meiner Tür hupt jemand und gibt keine Ruhe. Habe ich vielleicht falsch geparkt? Ich gehe vor die Tür und sehe dort Deborah in ihrem Auto sitzen. Sie hat die wenigen Motels der Stadt nach mir abgesucht und lädt mich morgen zum Mittagessen ein.

So, komme ich auf meiner amerikanischen Etappe zu meinem ersten Rendezvous!Wildrich Weltreise Zeltplatz in Alabama. Es wird eine kalte Nacht

04.04.2003

Ich habe eine Pause nötig und werde den heutigen Tag nutzen, um mich von den vergangenen Strapazen zu erholen. Um 9 Uhr bringe ich meine KLR zum Kawasaki Händler. Man erwartet mich schon und mit einem Mechaniker bespreche ich, was alles gemacht werden soll. Er trägt modische Jeans und ein weißes T-Shirt über seinem muskulösen Oberkörper. Insgeheim frage ich mich, ob er wirklich vor hat, in dieser Aufmachung an meiner Kawa zu arbeiten. Gegen 15 Uhr soll ich wiederkommen und die Maschine abholen, sagt er.

So gehe ich wieder zur Bücherei, wo sich die Mitarbeiterinnen daran erinnern, dass ich gestern schon da war. Wie ich denn ausgerechnet auf die Idee gekommen sei, in Cleveland Station zu machen, wollen sie wissen. Ich sage ihnen, dass ich versuche, große Städte zu vermeiden und lieber abseits der Metropolen auf kleinen Straßen unterwegs bin. Das Amerika, das ich suche, ist eher das der Dörfer und Kleinstädte. Interessiert lauschen sie meinen Worten.

Ich habe festgestellt, dass sich, ähnlich wie in deutschen Großstädten, auch hier alles wiederholt. Es gibt überall dieselben Restaurantketten und Geschäfte, so gleichen sich L.A., Memphis und Dallas im wesentlichen. Die Dörfer jedoch, die oftmals für McDonalds & Co. nicht interessant genug sind, bieten eine angenehme Abwechslung. Viele der kleinen Gaststätten sind Familienbetriebe, in denen Mutter oder Vater in der Küche arbeiten, und den Gast mit erprobten Gerichten bedienen.

Selbst die sonst so langweiligen Tankstellen sind auf dem Lande was Besonderes. Beim Anhalten an der Zapfsäule klingelt manchmal ein kleines Glöckchen, welches den Tankwart wissen lässt, dass Kundschaft wartet. Dieser kommt dann aus der Werkstatt nach vorne und bedient einen. In großen Städten gibt es einen solchen Service nicht mehr.

Gegen 11 Uhr fängt es an zu regnen, und als mich Deborah mittags mit ihrem Auto abholt, geht ein Wolkenbruch über der Stadt nieder.

Gemeinsam essen wir in einem kleinen italienischen Restaurant. Angeregt unterhalten wir uns wieder über den Krieg und die Weltpolitik im allgemeinen. Ihre liberaler Einstellung überrascht mich. Hier in den Südstaaten ist es sicherlich nicht einfach, mit einer Meinung wie der ihren zu leben. Fortschrittliche Ansichten zum Thema Waffenkontrolle oder eine liberale Einstellung zu dem Thema Abtreibung passen nicht gerade nach Mississippi.Wildrich Weltreise auf dem

Deborah hat denn auch Fernweh. Gerne würde sie aus ihrer kleinen Welt hier ausbrechen, um große Städte und das Ausland zu besuchen. Leider lässt ihre familiäre Situation dies aber nicht zu.

Ich freue mich, jemanden kennen gelernt zu haben, mit dem ich mich unterhalten kann und sogar auf einer Wellenlänge bin. Seitdem ich mich von Klaus getrennt habe, faellt mir auf, wie wichtig ein Gedankenaustausch ist. Auch Deborah tut es gut, mit einem Fremden zu reden. Sie hat in ihrem jungen Leben schon eine Menge durchgemacht und braucht gerade jetzt einen Menschen, dem sie sich mitteilen kann.

Erst gegen 15 Uhr verlassen wir das Restaurant und sie fährt mich zur Werkstatt.

Ich sehe, wie mein Mechaniker mit dem weißem T-Shirt gerade dabei ist, den Zylinderkopf wieder anzuschrauben. Anscheinend hat er es tatsächlich geschafft, eine Inspektion durchzuführen, ohne sich dabei schmutzig zu machen. Respekt!

Schon gestern habe ich im Stadtviertel der Farbigen einen Waschsalon gesehen, den ich heute aufsuche. Afro-amerikanische Hausfrauen schauen ein wenig skeptisch auf, als ich den Laden betrete. Ich vergesse oft, dass man meinen Gesichtsausdruck unter dem Plastik nicht sehen kann. So kann ich  noch so freundlich grinsen - es sieht niemand....... Erst, als ich den Helm abnehme, werde ich angelächelt. Man hilft mir beim Programmieren der Maschine und bei einer Tasse Kaffee erfahre ich, dass eine der Frauen Kellnerin ist und die andere Mutter von vier Kindern.

Zwischen zwei Ladungen Wäsche lerne ich Dave kennen. Er ist der Verwalter des Waschsalons und leert jeden Abend das Kleingeld aus den Automaten. Er erzählt, dass es ganz in der Nähe einer Kneipe gäbe, wo wir unser Gespräch fortsetzen könnten. Bis 19:00 Uhr sei außerdem noch "Happy Hour", da bekommt man alle Getränke zum halben Preis.Wildrich Weltreise Alabama

Gesagt getan, wenig später sitze ich mit der Stammkundschaft am Tresen des "Tin Roof Saloon" und gebe ein paar Reiseanekdoten zum Besten. Meine neuen Freunde stammen allesamt aus Cleveland und kennen sich seit der Schulezeit. Da gibt es einen Arzt, einen Lehrer und Dave, den Geschäftsmann. Sie berichten aus ihrem Leben, vor allem aber über das Angeln, das hier ein Volkssport ist.

Ohne, dass ich was bestelle, bekomme ich ständig neue Bierflaschen vorgesetzt. Und als man erfährt, dass ich Hunger habe, steht wenig später ein Teller gebackener Garnelen in Knoblauch vor mir. Mit dem Fahren unter Alkoholeinfluss nimmt man es hier wohl nicht so genau. Meine Saufkumpanen sind schon ziemlich lustig, als ich spät am Abend meine Rechnung bestelle. "Welche Rechnung?", fragt man mich. Das sei schon in Ordnung so, heute geht die Rechnung aufs Haus! Ich bin freudig überrascht, bedanke mich höflich und ziehe mich zurück, um zu Bett zu gehen. Wirklich, alles ganz anders als erwartet..........

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