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06.30 Uhr. Nun hat es sich bewährt. daß ich die letzten Tagen so früh aufgestanden bin. Ich habe jetzt einen Rythmus, starte munter in den Tag. Nach einer Dusche verstaue ich mein Gepäck im Auto und checke aus.
In der kalten Morgenluft warte ich auf das Taxi das ich bestellt habe. Ich will den Vormittag in Lvov verbringen, eine Stadt, über die ich schon viel gehört habe. Später geht es dann nach Ternolpol, wo ich mich mit Pawel treffen will.
Ein alter, aber gut gepflegter roter Lada bringt mich in flottem Tempo ins Stadtzentrum. Bogdan, mein Fahrer, bekreuzigt sich als eine schwarze Katze von links nach rechts über die Straße tappst.
Meiner Landkarte entnehme ich, daß das Motel an einer Ringstrßse liegt. Wir brauchen ca. 20 Minuten bis ins Zentrum. Komisch, es müßte doch eigentlich viel mehr Verkehr sein, zu dieser Zeit? Es gibt fast keine anderen Autos.
In der Vorstadt sehe ich Plattenbauten, die noch ein wenig trostloser aussehen als die in Deutschland oder Polen. Es gibt Bürogebäude und Fabriken. Menschen warten an den Bushaltestellen. Die Männer mit Schnauzbart, die Frauen modern gekleidet.
Bogdan ist ein Meister seines Handwerks. Geschickt umwedelt er die vielen Schlaglöcher, mit nur einer Hand am Lenkrad. Die andere ist am Radio und sucht einen Sender, man gönnt mir die Spice Girls.
Wenn möglich, fahre ich gerne mit älteren Taxi-Fahrern. Ich bilde mir ein, daß es einen Grund geben wird wieso sie so lange überlebt haben.
Lvov ist eine freundliche Stadt. Nur ca. 70 Kilometer von Polen und Weissrussland entfernt, herrscht hier ein geschäftiges Treiben. Entlang einer breiten Kopfsteinpflasterstraße sehe ich einen Friedhof. Mehrfamilienhäuser älteren Semesters prägen das Bild. Alles sieht ein wenig heruntergekommen aus, aber sehr gemütlich. Die dominierenden Farben sind beige, grau und grün. Es gibt wenig buntes zu sehen. Reklametafeln fehlen fast ganz, und auch Straßenschilder sehe ich nicht.
Im Zentrum verlasse ich das Taxi. Mein Fahrer meint es gut mit mir. Nur 18 Griwna wollte er (3,50), und eine Stadtrundfahrt bekam ich auch noch. Auf Englisch konnten wir uns sogar ein wenig unterhalten. Er hat noch eine Tochter zu verheiraten...
Wir vereinbaren, uns um 12.00 Uhr zur Rückfahrt zu treffen.
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Um 07.00 Uhr stehe ich im Zentrum der Stadt und habe keine rechte Ahnung, was ich machen soll. Ich gehe einfach mal los und sehe was passiert. An einem Kiosk kaufe ich einen Stadtplan. Leider nur auf Ukrainisch ohne Übersetzung. So sehe ich zwar die Symbole, weiß aber nicht, ob es sich dabei um Hotels, Kirchen oder Museen handelt. Geht es so den Analphabeten?
Die Oper befindet sich zwischen zwei Straßen in einer parkähnlichen Anlage, die ca. 100 Meter breit ist. Große Kastanien säumen einen zentralen Platz mit Bänken und jeder Menge Tauben.
Ich nehme Platz und beobachte. War es eben noch ruhig, so herrscht nun geschäftiges Treiben. Ein Fahrradkurier hat es eilig. Menschen gehen zur Arbeit oder einkaufen, führen Hunde spazieren.
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Auf der anderen Straßenseite ist ein Taxifahrer dabei, einen offensichtlich platten Reifen mit einer quietschenden Fußluftpumpe aufzupumpen. Ein paar Meter davor wird der Bürgersteig gefegt.
Es gibt viele kleine Geschäfte. Die Rolläden sind noch runtergezogen, und aufgrund der kyrillischen Schrift kann ich nicht erkennen was verkauft wird.
Ich folge unauffällig einem Passanten. Wohin er mich wohl bringen mag?
An einem Straßencafe biege ich ab und setze mich. An dem Nachbartisch spricht man Englisch. Ganz offensichtlich geht es um dunkle Geschäfte. Ein Ire, Manager eines Casinos, konfrontiert seine ukrainischen Angestellten und bezichtigt sie des Diebstahls. Stark angetrunken, fluchen sie sich gegenseitig an. Dann plötzlich, fliegen die Fäuste. Frauen kreischen, Stühle fliegen umher, ich sehe zu das ich Land gewinne. Die Stadt hat etwas sehr anrüchiges an sich.
Ich bin überrascht, wieviele Betrunkene ich auf dem Bürgersteig sehe. Ich erinnere mich daran, was eine aus Ungarn stammende Arbeitskollegin mal sagte. Nämlich, das der Alkohol die Krankheit des Ostens sei. Wenn ich die letzten Minuten als Maßstab nehme, hat sie sicherlich recht.
Die Sonne geht auf, das Licht verändert das Bild. Eine Straßenbahn rattert an mir vorbei und kommt klingelnd zum Stehen. Ein Traktor mit einer Ladung Heu versperrt den Weg. Was der wohl hier im Zentrum will?
Im Grandhotel ist der Concierge so freundlich, mir Tipps für die nächsten Stunden zu geben. Auf dem Programm steht
1.Ein Spaziergang zu einem Aussichtshügel mit Fernsehturm
2.Durch die Altstadtgassen schlendern und Schaufensterbummeln.
3.Ukrainisch essen
4.Das Internetcafe aufsuchen.
Das muß dann auch schon reichen, mehr Zeit ist leider nicht.
Um 08.00 Uhr ist die Stadt voller Menschen. Wieder klingelt eine Straßenbahn und hält. An der Haltestelle sitzen alte Frauen mit Kopftüchern auf dem Bürgersteig und lassen ihre Goldzähne blitzen. Vor sich ausgebreitet duftendes Gemüse aus dem eigenem Garten, das sie verkaufen.
In der Morgensonne erwacht nun die Stadt. Wie ich so durch die engen Pflasterstraßen spaziere, fällt mir der Vergleich zu Salzburg und Wien ein. Nur ein bißchen heruntergekommen ist alles. Aber vielleicht macht genau daß das Flair aus.
Auch die Menschen sehen hier anders aus als gestern in Polen. Die Gesichtszüge sind härter. Ich frage mich, ob das an der Großstadt liegt, oder ist das wirklich der Unterschied der Länder?
Die kleinen, steilen Kopfsteinpflasterstraßen den Berg hinauf sind in einem furchtbaren Zustand. Wie alt sie wohl sein mögen? Opas stehen hinter geöffneten Fenstern, rauchen Zigaretten und beobachten die Passanten. Tauben flattern umher.
Leider habe ich vor meiner Abreise aus Deutschland keinen vernünftigen Reiseführer über die Ukraine gefunden. Das soll sich nun rächen, ich wüßte gerne mehr über die Stadt und ihre Bewohner. |
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Auf dem Aussichtspunkt angekommen, kann ich die ganze Stadt überschauen. Es gibt eine Altstadt. Dort sehe ich Domkapitel und alte Häuser. Viel Grün durchzieht die Straßen der Viertel.
Ein Eisenbahnstrang durchschneidet die Stadt. Auf der anderen Seite stehen die schon bekannten Plattenbauten soweit das Auge reicht. Industrieanlagen sehe ich fast nicht. Auf den großen Einfallstraßen, die sternförmig zu mir hinführen ist nur wenig Verkehr. Das wird sich sicherlich zu späterer Stunde noch ändern.
Die gemütliche Altstadt sieht aus wie aus dem Bilderbuch. Alt eingesessene Geschäfte gibt es hier. Einen Schuster mitten in einer Europäischen Millionenstadt! Wo gibt es so was noch? Ich wandere von einem Cafe zum nächsten, schreibe Postkarten und schaue den Menschen nach.
Es gibt gestylte Jungunternehmer mit Handy und passender Freundin im Chanel Kostüm. Eine Mutter bringt ihre Tochter händchenhaltend zur Schule. Studenten mit Rastalocken gehen des Weges, löffeln Sardinen aus der Dose und unterhalten sich lauthals. Mütterchen mit Kopftüchern kommen schwer bepackt vom einkaufen.
Um 11.00 Uhr bin ich der erste Gast im Spezialitätenrestaurant. Es klingelt, als ich die Türklinke drücke. Die Belegschaft schaut ein wenig verwundert, als ich das dunkle Lokal betrete. Wieder wechselt man den Radiosender für mich. Diesmal bekomme ich Folklore.
Ich nehme auf der Eckholzbank am Fenster platz und studiere die Karte in englischer Sprache. Heute gibt es frisch gepressten Pampelmusensaft und Quellwasser. Als Speise bekomme ich einen Tontopf, gefüllt mit Lagen von Kartoffelpfannkuchen, Fleisch, Gemüsen und Sahne. Sehr kalorienreich und lecker.
Pünktlich um 12.00 Uhr wartet Bogdan wie verabredet auf mich. Während der Fahrt kommen wir schnell wieder ins Gespräch. Er sei 44 Jahre alt, und wieder erzählte er von seiner Tochter... . Ich wechsele das Thema.
Am Hotel angekommen bemerke ich das mein Handy nicht mehr da ist. Ob ich es verloren habe oder wurde es geklaut? Die nächste Telefonrechnung wird es wohl zeigen.
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Seit einer Stunde etwa bin ich nun schon unterwegs nach Ternopol. Es war gar nicht so leicht, die richtige Straße zu finden. Es gibt so gut wie keine Schilder. Soweit ich das sehe, ist die Ukraine ein sehr weites Land. Die Distanzen zwischen den einzelnen Dörfern entsprechen kanadischem Niveau. Die Straßen sind in einem miserablen Zustand. Ich sehe viele Pferdefuhrwerke, alles ist noch viel ländlicher als in Polen.
Pawel erwartet mich erst um 16.00 Uhr. Ich werde aber schon viel früher in Ternopol sein, da es auf dem Weg keine Sehenswürdigkeiten gibt, die mir die Zeit rauben könnten.
Von einem jungen Mädchen am Wegesrand kaufe ich drei kleine Äpfel für umgerechnet 0,05€¥. Mehr will sie nicht.
Unter blauem Himmel komme ich nur recht langsam voran. Es ist höchste Konzentration geboten, um den Schlaglöchern auszuweichen. Ab und an liegen Autos am Straßenrand. Die Fahrer sind dabei, Räder zu wechseln, oder Kühler zu flicken.
Kurz vor der Stadt halte ich an einer Tankstelle. Ich versuche, über ein Münztelefon Pawel anzurufen. Leider kann ich ihn nicht erreichen, ich versuche es später noch mal. So fahre ich auf eigene Faust weiter und suche nach einem preiswerten Zimmer. |
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Durch die Hilfe einer ganzen Polizeistationbelegschaft bekomme ich dann ein Hotelzimmer. Für umgerechnet 17€¥ bekomme ich ein Raum mit Dusche und Fernseher. Der Empfangsdame mit Oberlippenbart war ich nicht so ganz geheuer. Anscheinend ist sie keine ausländischen Touristen gewöhnt, will mir erst kein Zimmer geben. Erst durch die Hilfe eines jungen Paares gelingt es, sie umzustimmen.
Sasha und seine Verlobte Natascha hatten mein Auto gesehen, und es mit einem Ausländer in Verbindung gebracht. Sie bieten ihre Hilfe an und übersetzen für mich.
Wie viele junge Menschen in Osteuropa, so sind auch sie sehr wißbegierig, wollen ihre Englischkenntnisse erproben. Ich erfahre, daß sie in wenigen Tagen nach Teneriffa auswandern werden. Viele junge Erwachsene verlassen das Land um ihr Glück anderswo zu versuchen. Zurück bleiben die Alten.
Nun gehe ich über den Markt von Ternopol. Es ist schon 17.30 Uhr nachmittags, und noch immer sind die Marktstände prall gefüllt. Heute werden die Händler das alles nicht mehr los. Viele Gemüsesorten werden angeboten. Soweit ich das beurteilen kann, beste Qualität.
Meinen Wagen habe ich für die Nacht wieder auf einem bewachten Parkplatz abgestellt. Diesmal ohne Wachhund, dafür aber mit zwei nüchternen Wächtern.
Wie ich so durch die Straßen laufe, denke ich, daß dies nicht mehr mein Europa ist. Auf einem zentralen Platz dröhnt über Lautsprecher patriotische Musik. Auch die Nachrichten werden öffentlich verlesen.
Waren die Menschen eben noch hektisch unterwegs, so kehrt schnell wieder Ruhe ein. Man sitzt zum Abendrot auf den Parkbänken, füttert Tauben oder flaniert langsam an den Schaufenstern vorbei, um zu sehen oder gesehen zu werden.
Ein Vater führt seine kleine Tochter spazieren. Als Kopfbedeckung trägt sie eine bunte Kinderunterhose (da wo die Beine hingehören baumeln Zöpfe rechts und links). Ich muss lachen, sie bemerkt es und schaut mich verdutzt an.
Dann schaffe ich es doch noch, Pawel zu erreichen. In zwei Stunden etwa holt er mich mit seiner Frau zum Abendessen ab.
Also noch genug Zeit, um etwas zu erleben. Ich spaziere in den Park und provoziere eine Begegnung. Eine junge Frau sitzt auf einer Parkbank und liest ein amerikanisches Buch.
Ich frage ganz unschuldig, ob sie Englisch spricht... und schnell landen wir in einer Kneipe und diskutieren. Ihr Name ist Nadja, 25 Jahre alt und Lehrerin. Heute Abend trifft sie sich mit Freunden aus der Stadt zum essen, und auch sie hat noch ein wenig Zeit.
Im Laufe der nächsten Stunde erfahre ich so einiges über das Leben junger Frauen der Ukraine. Sie berichtet von den Dingen, die ich als Tourist nicht zu sehen bekomme. Die Korruption, die Allmacht des Staates, die Armut im Lande. Auch die Zwänge der Familie sind ein Problem. Nur etwa 60€¥ verdient sie im Monat. Das heißt, wenn sie arbeitet, denn zur Zeit ist sie arbeitslos!
Hinzu kommen noch private Themen, die ich hier nicht preisgeben will. Nur soviel, sie hat ziemliche Sorgen. Wir sind beide erstaunt, daß man so schnell Vertrauen zueinander gefunden hat.
Zuerst vermeide ich von meiner Reise zu erzählen, aber natürlich will sie wissen warum ich in einer Stadt wie Ternopol bin, und so habe ich keine Wahl. Sehnsucht steht in ihren Augen geschrieben. Die weite Welt, die wartet und erkundet werden will. Aber wie soll das gehen, selbst 12 Jahre nach „der Wende" brauchen Ukrainer Visa für die meisten Länder und woher das Geld nehmen?
Das stimmt mich traurig. Noch Tage danach denke ich darüber nach, was Menschen wohl von mir halten? Bin ich ein Lebemann, gar ein Großkotz? Ich sehe vieles in einem neuen Licht, hinterfrage während der nächsten Wochen immer wieder Reaktionen anderer. Ich nehme mir vor, noch bescheidener mit meinen Äußerungen zu sein.
Dann ist es leider Zeit zu gehen. Schade, aber auch gut, denn ich brauche Luft um einen klaren Kopf und positive Gedanken zu bekommen. |
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Dann steht Pawel auf einmal vor mir und strahlt mich an. So ein Lächeln habe ich gebraucht! Schnell fahren wir zu seiner Wohnung, wo ich auch seine junge Frau kennenlerne. Es gibt Tee und Kekse. Wir besprechen das Programm für den restlichen Abend.
Ich bekomme eine Stadtrundfahrt. Ternopol bei Nacht. Der renovierte Bahnhof ist eine Augenweide. Ein richtiger Palast.
Weiter geht es zu einem Brunnen, an dem sich die Menschen mit Wasser versorgen, da das Leitungswasser der Stadt nicht gut sei. In der Nähe gibt es eine Kirche, in der die zwei geheiratet haben. In ein paar Jahren wollen sie Kinder. Hochzeitsfotos machen die Runde. Ich staune über das opulente Fest.
„Wann ich denn heiraten würde?“ Eine Schwester sei noch frei... . Wir müßen alle lachen, weil mein Nomadenleben kaum zu einer Familie passt. Zwei Angebote an einem Tag ich fühle mich 10cm größer und mindestens 20 kg leichter... .
Pawel's Vater ist Fabrikleiter. Ein gemachter Mann. Sie haben ein gutes Leben. Wie war das noch gleich, es gibt nur arm oder reich...
In einem ukrainischen Spezialitätenrestaurant laßen wir den Abend langsam ausklingen. Eine Band spielt auf. Amerikanischer Rock, mit ukrainischen Texten. Trotz der Lautstärke unterhalten wir uns blendend. So als seien wir schon seit Jahren dicke Freunde. Es gibt Fisch, Salat und viel Bier. Mir schwimmt der Kopf, als wir, spät in der Nacht, an die Luft treten, und uns auf den Weg zum Hotel machen.
Der Abschied fällt mir schwer. Gerne würde ich noch bleiben, und mehr erfahren.
Als wir am Parkplatz vorbeikommen, muß ich noch meinen SMART vorführen. Beide sind begeistert. Das wird ihr Zweitwagen, keine Frage! |
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