Ich schlafe tief und fest in dieser Nacht. Am frühen Morgen wecken mich bellende Hunde. Die Sonne scheint durch das Fester und die Gardine weht leicht in der geöffneten Balkontür.
Mein Blick wandert durch das Zimmer, und mir fällt auf daß mein Portemonaie offen auf dem Tisch liegt. Ein ungutes Gefühl überkommt mich... und tatsächlich, mein Geld und die Kreditkarte sind weg. Ich bin bestohlen worden.
Wie und wo weiß ich nicht mehr, das dritte Bier gestern hat meine Erinnerung gelöscht. Waren die Diebe im Zimmer? Hat man mich gar im Schlaf beraubt? Oder waren es Taschendiebe, die mich schon in der Stadt gestern Abend bestohlen haben?
Nein, letzteres kann nicht sein. Welcher Dieb klaut einem schon die Geldbörse, entnimmt Bares und Kreditkarte, steckt sie dann zurück?
Eine schnelle Bestandsaufnahme. Ich bin erstaunlich ruhig, auch nicht böse, eher überrascht. Meine Kamera hat man nicht entdeckt. Und zum Glück auch nicht den Geldgürtel, in dem ich die größeren Beträge bei mir habe. Der Autoschlüssel ist noch in meiner Hosentasche, das Auto steht auf dem Hof, ist unversehrt. Es fehlen lediglich die American Express Karte und umgerechnet etwa 100€.
Oje, vor zwei Tagen war ich noch der Meinung, ich könne auf meine Intuition vertrauen.
Erst mal waschen und anziehen, dann überlegen! Soll ich zur Polizei? Was kann ich denen sagen? Sprechen sie Englisch? Wie lange halten sie mich auf? Bekomme ich Scherereien? Soll ich die Pensionsbesitzerin benachrichtigen?
Nach dem ersten Schreck muß ich lachen. Über meine Dummheit, mit dem geöffnetem Fenster im Erdgeschoß zu schlafen, über das bißchen Geld. Auch darum, welches Glück ich hatte, nicht aufzuwachen, als man mich überfallen hat. Ich stelle mir vor, wie ich etwa im Halbschlaf den Helden gespielt hätte.
Eigentlich ist doch alles okay! Es geht mir gut. Das fehlende Geld kann ich verkraften. Die Kreditkarte sperre ich und bringe in Erfahrung, daß ich im Falle eines Falles nicht haftbar bin.
So beschließe ich, nichts weiter zu unternehmen. Ich nehme mein Schicksal hin. Einfach so, es geht mir gut dabei. Ich fühle mich erstaunlich wohl, zufrieden, fast glücklich.
Nach einem schnellen Frühstück mache ich mich auf den Weg nach Bukarest. Auf der erstklassigen Straße komme ich gut voran.
Wie ich so bei geöffneten Fenstern unterwegs bin, grübele ich über die Diebe nach. Waren das arme Menschen? Was machen sie wohl gerade? Hat man mein Geld schon umgesetzt? Werde sie versuchen, die Kreditkarte einzusetzen?
Ich denke über die letzten Tage nach. Wie konnte es dazu kommen, daß ich so unvorsichtig wurde? Bin ich gar selber schuld? Tatsächlich, es ging mir gestern nicht so gut. Der ukrainische Zoll hat mir die Nerven geraubt. Ich war frustriert. Hinzu kommen die langen Fahrten. Auch fehlen mir Menschen, mit denen ich über das Erlebte reden kann.
Ich halte an einer Tankstelle, trinke einen Kaffee und mache mir Gedanken, was besser werden muß. War alles gar eine Lehre? Wenn ja, was habe ich übersehen?
Ich treffe einen wichtigen Entschluss. Nämlich, die Reise zu Ende zu bringen wie geplant. Ich bemerke, daß die Ungewißheit des Ziels mich plagt. Was soll das eigentlich alles bringen? Wieso tue ich mir das an? 9000 km in 19 Tagen, muß das sein?
Mache ich mir etwas vor, wenn ich sage, daß ich reise, weil ich es mir Spaß macht? Ist es nicht doch eher eine Suche?
Erst als ich wieder im Auto sitze, habe ich die Antwort parat. Die Länder und Landschaften sind nicht wichtig. Was ich suche, sind die Menschen. Kontakte, Erfahrungen austauschen, Neues lernen, das ist es, was ich will.
So schnell zu reisen, wie ich es jetzt tue, will ich nie wieder. Es bleibt zu viel auf der Strecke. Ich gewinne nur flüchtige Einblicke in Länder und deren Kulturen. Der einzelne Mensch bleibt dabei ganz außen vor.
Schlagartig fühle ich mich wieder wohl. Das war es also! Ich glaube, eine wichtige Lektion gelernt zu haben. Im Rückspiegel sehe ich in meine Augen. Ich strahle über das ganze Gesicht. Ich habe mich selten so gut gefühlt. Liegen Glück und Unglück oft so nahe?
Ein Hotel in Bukarest habe ich noch nicht. Aber aus einem Reiseführer geht eine Empfehlung hervor. Ein kleines Haus im Zentrum, recht preiswert und „sicher“!
Die Sonne steht hoch, als ich durch eine ebene Wiesenlandschaft fahre. Die Dörfer und Städte sind weit voneinander entfernt. Überall gibt es Polizeikontrollen, aber trotz meiner überhöhten Geschwindigkeit hält man mich nicht an. Ob das ein SMART-Bonus ist?
Es ist Sonntag, die Menschen fahren mit Pferdewagen zur Kirche. Die Kinder sind herausgeputzt, Mama und Vater sitzen vorne auf dem Wagen. Vereinzelt sehe ich Fohlen, die neben ihren eingespannten Muttertieren hertraben. Es herrscht ein reger Verkehr in den Dörfern, und es duftet nach frisch gemähtem Heu.
Leider gibt die Landschaft zwischen den Dörfern nicht viel interessantes her. So freue ich mich auf die Stadt. |