In Suwalki herrscht heute morgen schon geschäftiges Treiben. Es ist 05.45 Uhr.
In den kleinen Dörfern regt sich das Leben. Kühe werden in den Höfen gemolken, Enten schnattern durch die Gegend. Frauen warten an der Bushaltestelle mit verschrenkten Armen. Es ist noch kalt. Nur 12°C heute morgen.
Die ca. 60 Kilometer nach Augustow fliege ich nur so dahin. Ich folge einem Lieferwagen, der es eilig hat. Die Straße ist in einem sehr guten Zustand. Weit und breit kein Verkehr.
Schade, daß ich keine Zeit für diese Stadt habe. Sie macht einen sehr hübschen Eindruck. Ein Kirchenneubau aus beigen Ziegeln macht auf sich aufmerksam. Ich habe hier schon viele neue oder im Bau befindliche Kirchen gesehen. In prächtigen Blumengärten stehen Villen. Es gibt Hotels und Restaurants, einen großen See, einen Hafen mit Segelbooten und Ausflugsdampfern.
Es geht entlang einer Pappelallee. Die hochgewachsenen Bäume filtern das grelle Sonnenlicht. Auch in Deutschland hat man mittlerweile erkannt, daß der natürliche Sonnenschutz der Bäume seine Vorzüge hat.
Ich wurde gewarnt. Es seien sehr viele LKW's unterwegs. Ich sehe keine. Das liegt sicherlich an der frühen Stunde. Tatsächlich! An einem Truckstop ist der Parkplatz voller LKW's. Ich gehe in das Restaurant und trinke eine Kaffee. Auf dem WC wimmelt es von Fernfahrern. Feinripp und Kulturtaschen dominieren das Bild. Zigarettenrauchend rasiert sich ein Trucker. Er hat sich nicht die Mühe gemacht, seinen Schlapphut abzunehmen.
Ein freundlicher junger Tankwart mit roten Bäckchen tankt bis zum Ansatz (Duchschnitt der letzten Fahrt 3,55 l / 100 km).
In den Städten sehe ich noch immer viele Plattenbauten. Wie sollte es auch anders sein. Die Menschen müssen ja irgendwo wohnen. Zum Teil wurden Häuser schon saniert. Dann gibt es Pastelltöne. Aber auch diese Bemühungen können nicht über die Häßlichkeit der Trabantenstädte hinwegtäuschen. Ein schlimmer Kontast zu den kleinen Bauernhäuschen der Dörfer. Die so gemütlich zwischen den Bäumen sitzen. Wie mag es sich in den Appartments leben? Und wie auf dem Land? Mit Ziehbrunnen und Gemüsegarten.
Von Augustow sind es ca. 100 km nach Bialistok. Die sehr gut ausgebaute Bundesstraße 8 (eine breite Allee) läßt eine hohe Durchschnittsgeschwindigkeit zu. Erlaubt sind hier übrigens 90 km/h und in den Ortschaften 60 km/h.
Man sieht des öfteren Polizei mit Radarpistolen, mich hat es aber noch nicht erwischt.
Bialistok empfängt mich mit einem Großaufgebot sozialistischer Einheitsarchitektur. Nicht endende Plattenbauten, Betonschornsteine nebst dazugehörigem Fabrikgelände und Qualm. Als wäre das nicht schon genug, so ist auch die Beschilderung verwirrend und unvollständig. So ,daß ich mich mehrmals verfahre, um die doch eigentlich große Straße nach Lublin zu finden. Auch ein freundlicher Tankwart weiß nicht so recht weiter. An den Straßen wird gebaut, es gibt viele Umleitungen.
Schliesslich hilft ein Lieferwagenfahrer. Er lotst mich kreuz und quer durch die Stadt und bringt mich schließlich auf die richtige Straße.
Wie ich so hinter ihm herfahre, achte ich auf die Passanten. Die Menschen gehen zur Arbeit. Mir fällt auf, wie gut und modern die Frauen gekleidet sind. Die Männer hingegen gehen äußerst leger mit ihrem Äußeren um. Kurze Hosen und Ballonseide scheinen salonfähig. So gesehen befinde ich mich in bester Gesellschaft!
Mir passiert immer wieder etwas Ulkiges in diesen Tagen. Die Sache mit den Zebrastreifen!
Die gibt es in Polen zuhauf und werden auch benutzt. Aber ich scheine der einzige Autofahrer zu sein, der Fußgängern den Vortritt läßt. Alle anderen fahren einfach weiter. So kommt es schon mal zu Hupkonzerten hinter mir, und ungläubigen Blicken der Passanten, die ihrem Glück nicht so recht trauen wollen. Beispielsweise konnte ich eben die Oma nicht überzeugen, die Straße zu überqueren. Sie bedeutete mir, doch erst weiter zu fahren, dann würde sie gehen.
Hinter der Stadt dann eine geeignete Raststätte. Eier mit Speck, Brot und Kaffee für ca. 2€. Gut gestärkt geht es an die nächsten 300 km. Ich bin überrascht wie viele Kilometer ich heute schon geschafft habe. Noch schnell die Fenster geputzt. Alle außer der Heckscheibe. Die ziert seit gestern ein per Finger aufgemaltes Herz! Ich bin sicher, das gilt nicht, mir sondern dem Wagen.
Die Parkplätze entlang der polnischen Fernstraßen bieten keinerlei Infrastruktur. Deshalb weiche ich auf die bewirtschafteten Tankstellen aus. Hier gibt es immer einen Kaffee und Proviant.
Ich zwinge mich während der Fahrt Wasser zu trinken. 3 Liter am Tag ist mein Pensum. Die dadurch entstehenden Zwangspausen lenken ein wenig vom Fahren ab.
Der Einfluß Weißrußlands und der Ukraine ist hier im Osten Polens schon spürbar. Vereinzelt sehe ich orthodoxe Kirchen. Es gibt fast nur noch Holzhäuser.
Nur gut, daß ich mich gestern an den Alleen satt gesehen habe. Heute sehe ich braun-graue Felder und Wiesen bis an den Horizont. Das erinnert ein wenig an den Norden der USA.
Die polnischen Innenstädte, speziell die Gegenden um den Rynek sind meist sehr gut in Schuß. Zum Teil wurden die Zentren kernsaniert.
In den Dörfern warten Milchkannen am Straßenrand auf den Transport.
Heute in 14 Tagen muß ich wieder zuhause sein. Ich bin erst ca. 2000 km gefahren. Ein Viertel der Strecke. Es ist an der Zeit, daß ich mir Gedanken mache, wie ich die nächsten 6000 km am besten bewältige. Ich beschließe, heute abend die Karten und einen Taschenrechener zur Hand zu nehmen, um ein mögliche Route auszuarbeiten.
Mit dem Planen ist das immer so eine Sache. Ich lege mich ungerne fest. Ich habe zwar das Ziel, nach Igouminetsa zu kommen, aber wer weiß? Das bedeutet einen Durchschnitt von etwa 500 km pro Tag. Ich weiß nicht ob ich mir das wirklich zumuten will. Auf gar keinen Fall möchte ich daß diese Fahrt zu einer Qual wird. Im Moment macht es großen Spaß zu fahren. Ich genieße den Wind um die Ohren, die gute Musik und die Landschaft. Ich bin gespannt wie das in zwei Wochen aussieht.
Ich komme auch weiter gut voran. Es ist 12.20 Uhr und ich habe den Ort Kock erreicht. Eigentlich wollte ich heute nacht hier bleiben, aber da es noch so früh ist, will ich weiter kommen.
Hier gibt es zwei Museen. Eines beschäftigt sich mit dem Sozialismus, das andere mit Kunst.
Sozialismus ist billiger im Eintritt, gewinnt so leicht die Wahl. Welch Wunder der Demokratie! Hier sind alle vereint. Marx, Engels, Mao und wer sonst noch so seinen Senf dazu geben mußte. Büsten, Gemälde, Fahnen und Tondokumente schaffen mich. Sehr geballt alles. Schnell wieder raus hier und in den Garten auf die Bank.
Weiter geht es. Nach ein paar Kilometern erreiche ich das Städtchen Lubartow. Wo ich eigentlich vorhatte, was zu essen, aber wie so oft... . Nein, im Ernst, ich fühlte mich in dieser Stadt nicht sicher. Hatte ein flaues Gefühl im Magen.
Stadteinwärts hielt ich am Straßenrand, um eine Gruppe Skinheads mit Bierdosen in der Hand nach dem Weg zu fragen. Sie waren viel zu verdattert, um dumme Sprüche zu bringen. Als ich nach einem Rundgang durch die Stadt aber wieder zum Parkplatz kam, standen sie -ein wenig nervös- um meinen Wagen herum.
Die Sache mit dem Gefühl der Gefahr verwundert mich immer wieder. War ich vor kurzem in Lubartow noch besorgt, so geht es mir schlagartig besser, als ich die Stadt verlasse, und ich bin sehr zuversichtlich was der restliche Tag noch bringen mag.
Ah, endlich wieder dieses Gefühl innerer Zufriedenheit. Mir ist erst im nachhinein aufgefallen, daß ich heute nicht gut aufgelegt war. Hat vielleicht tatsächlich irgendein Bösewicht auf mich gewartet?
Wenn ich auch auf Reisen meiner Intuition vertraue, so fällt mir das im Arbeitsalltag oft schwer.
So bin ich also wieder einmal unterwegs, ohne in der Stadt zu speisen. Erst an einer Tankstelle weit außerhalb halte ich wieder. Hier bekomme ich alles, was ich will. Eine Europakarte, Mineralwasser außerdem habe ich gegessen.
Die Kellnerinnen schauen immer ganz verdutzt, wenn ich etwas polnisches bestelle. Sind sie es gewöhnt, daß Westeuropäer Cappucino trinken und Salat mit Büffelkäse essen?
Ich tanke noch fix. Ich versteh' nicht so ganz... habe die Wahl zwischen normalem Diesel und einer preisgünstigeren Variante aus großen Plastikcontainern... Erst später erfahre ich, daß die „abgepackte Sorte“ ukrainischer Diesel ist, den man hier an der Grenze viel preiswerter als den polnischen kaufen kann.
Weiter geht es Richtung Grenze. Ich rechne mit einer Wartezeit zwischen 4 und 8 Stunden. Die östlichsten Dörfer Polens sind eine angenehme Überraschung. Ganz entgegen der sonst üblichen Grenztristess geht es bunt zu.
Zeit für ein Resumee. Polen ist für mich das ideale europäische Reiseland. Fantastisch in vielerlei Hinsicht. Die letzten vier Tage kosteten 150€. Das in den letzten Tagen Erlebte wird noch einige Zeit brauchen, vor dem es in mein Innerstes einsickert.
Ich bin ein wenig aufgeregt. Komisch, das kenne ich gar nicht von mir. Reisen ist zu einer Routine geworden. Aber heute will ich auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, das ist etwas besonderes.
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