Paul hat, wie ich auch, seine Jugend in der kanadischen Provinz Britisch Columbien verbracht, und ist zur Zeit auf Urlaub in Polen. Hier besuchten er und seine Familie die Verwandschaft seiner Frau, die in Suwalki wohnt. Wir kommen schnell ins Gespräch, und ich bekomme Tipps für die Weiterreise.
Das Auto habe ich auf einem bewachten Parkplatz abgestellt. Der Wächter (vom Typ Arnold Schwarzenegger) ist von meinem Wagen sehr angetan. Trotz seiner Größe meint er es sei das ideale Fahrzeug für ihn. Wenn er noch mehr auffallen will, als es ohnehin schon der Fall ist, dann hat er sicherlich recht.
Am Strandbad ist einiges los. Es gibt einen Kajak-Verleih, eine Imbissbude, Umkleidekabinen und Duschen. Alles macht einen sehr ordentlichen Eindruck. Keine Verpackungen oder Zigarettenstummel weit und breit.
Ich habe mich für ein schattiges Plätzchen unter einer Weide entschieden, vielleicht 20 Meter vom Wasser entfernt. So habe ich alles fest im Blick. Zu meiner rechten eine polnische Großfamilie, samt Großeltern, die -so scheint es mir- ihren gesamten Hausrat mitgebracht hatten.
Links kichernde Teenager, einheimische Bikinischönheiten und die dazu passenden Halbstarken. Das kenne ich von zu Hause, ist wohl überall auf der Welt das gleiche Bild.
Gerade vor mir spielen die Kinder der Großfamilie Fußball. Jungen und Mädchen vereint, aufgeteilt in zwei Teams. Die eine Mannschaft ist an orangen Schwimmflügeln zu erkennen.
Irgendwas ist... anders. Ich brauche eine Weile, bevor dem ich darauf komme. Kein Kind kreischt, niemand rennt über meine Decke, man achtet darauf, daß der Fußball mich nicht trifft. Irgendwie ist es ein wenig gesitteter als in Deutschland.
Jetzt habe ich einen Sonnenbrand. Ich konnte die Ruhe so sehr genießen, das ich die letzten zwei Stunden geschlafen habe. Völlig ausgetrocknet gehe ich zum Imbißstand.
Da es meine geliebten Piroggen nicht giebt, musst ich ausweichen. Meinem Vorsatz folgend, einheimische Speisen zu essen, bestellte ich mit Hackfleisch gefüllte Klöße, und setzte mich auf die Terrasse zu Paul, der mit seinen Kindern zu Mittag ist.
Wir kommen schnell wieder ins Gespräch, und er erzählt mir ein wenig von sich. Er arbeitet in Ottawa für die kanadische Regierung, und hat dort seine aus Polen stammende Frau kennen gelernt. Die Ursprünglich aus Bialistok stammt. Mit Bus und Bahn reisen sie quer durch das Land.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees haben sie ein Häuschen gemietet und sind heute mit einem Kanu gekommen.
Nach einigem Smalltalk wenden wir uns der Frage zu, ob Kinder eine solche Reise zu würdigen wissen. Ich sage ihm, daß ich der Meinung bin, daß das zu viel verlangt ist. Erst mit zunehmendem Alter, wenn man sich erinnert, wird man von der Erfahrung zehren. Sein 9 jähriger Sohn spricht fließend drei Sprachen! Daß ihm auch die Kultur der Mütterlichen Heimat näher gebracht wird, finde ich sehr gut.
Im Schatten der großen Eiche, auf der Terrasse der Imbissbude sitzend vergeht die Zeit. Und als ich auf die Uhr schaue, ist es schon spät. Höchste Zeit mich auf den Weg zu machen. Ich werde jetzt über Suwalki zurück nach Stanziki fahren und Fotos machen.
Ich verlasse also den See mit seinem klaren Wasser und frage mich wann ich das nächste mal baden gehen werde. Ob ich es bis zum schwarzen Meer in Odessa schaffe? Oder gar Igoumenitsa in Griechenland? Noch weiß ich es nicht, aber ich zweifle ein Wenig angesichts der fehlenden 4000 Kilometer.
Im Dorf Przerosl kaufe ich Ansichtskarten. Die Dame auf der Post war -wie alle Beamten bislang- sehr hilfreich und freundlich. Sie hat mir den Feldweg vorbei an einem Teich Namens Botzna nach Stanziki gezeigt. Es ist ein wunderschöner See, grün schimmernd. Ein paar Autos parken am Wegesrand, ich sehe Picknicker.
Am Ende des Sees, gibt es eine kleine Wiese, auf der ich meinen SMART geparkt habe. Es gibt dort ein paar einheimische Camper und einen Hund, mit dem ich Freundschaft schließe.
Ein freundliches Pärchen (das Mädchen spricht fließend Englisch) bedeutete mir, daß sich von hier aus bis nach Stanziki nur 10 Minuten laufen würde. Deshalb habe ich meinen Wagen am Ende des Sees stehen gelassen und gehe nun zu Fuß weiter. Ich will jetzt Herberts Grundstück finden.
Zu meiner linken liegen die drei Höfe, von denen er berichtet hat. An dem Ersten frage ich, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Ich habe so vieles gehört, das mir die Gegend schon vertraut ist. In der Entfernung sehe ich die beiden Viadukte.
Ich entschließe mich, Herbert noch mal anzurufen, um mich von ihm zu seinem Grundstück führen zu lassen. So lausche ich dem Handy, während ich gehe.
Vor meiner Abreise zeigte er mir ein Foto das sein Bruder für ihn aufgenommen hatte. Es zeigt ihn, wie er auf einem Acker steht.
Ich meine, genau diesen Hügel zu erkennen. Auf dem Feldweg sehe ich Trecker- und Fahrradspuren.
Fast am Ende des Weges ist eine Art Kiesgrube. Kurz davor rechts einen Findling. An der Sandgrube stehend schaue ich in Richtung der Viadukte, die aber durch Bäume und Hügel verdeckt sind. Ich sehe Rauch. Anscheinend verbrennen Menschen hier ihren Müll. Der Weg geht immer noch weiter, entlang einer Wiese und durch ein kleines Wäldchen. Leider haben Menschen hier viel Unrat abgeladen, „aus dem Weg und aus dem Sinn“.
Dann auf einmal stehe ich genau auf dem Fleckchen Erde, auf dem das Haus früher stand.
Direkt vor mir sehe ich die drei Höfe, wie von ihm geschildert. Über meine linke Schulter hinweg müsste nun der Badesee sein. Herbert sagt mir, daß er während der Krieges mit seinem Vater auf dem Scheitelpunkt des Hügels gesessen hat, um zu schauen, wie die Granaten abgefeuert wurden.
Selbst nach intensiver Suche finde ich kein Fundament. So bleibt mir keine andere Wahl als viele Fotos zu machen und mir die Umgebung einzuprägen. Ich sammle ein paar Steine, die ich als Erinnerungsstücke mitnehmen will. Ich habe eine Menge zu erzählen, wenn ich wieder in Deutschland bin.
Ich beende das Telefonat, und gehe wieder zu meinem Wagen. Nur vereinzelt sehe ich noch Camper. Der größte Teil hat schon zusammengepackt. Ich gehe noch einmal schwimmen, verabschiede mich von dem freundlichen Pärchen und mache mich dann auf den Weg zum Hotel. |