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 Spurensuche in Stanziki

Morgens früh um 04.30 Uhr kann ich nicht mehr schlafen. So nach und nach entwickle ich mich auf meinen Reisen  zum Frühaufsteher. Ob die unterschwellige Aufregung daran schuld ist?

Nachdem ich meine Sachen für den Tag gepackt habe (ich habe auch die Badehose nicht vergessen), überprüfe ich das Auto und mache mich auf den Weg. Heute morgen möchte ich in Goldap frühstücken. Es ist zwar noch sehr früh, aber ich hoffe, trotzdem etwas zu bekommen.

Von der Straße aus kann ich den ehemaligen Bahnkörper der Strecke Goldap-Wehrkirchen sehen. Er wird um diese Uhrzeit von Fahrradfahrern benutzt.

Auf den naturbelassenen Wiesen sehe ich unzählige Wildblumen. Der Morgentau glänzt in den ersten Sonnenstrahlen. Ein Paradies für Vögel.

Ich fahre viele Stunden über kleine Straßen, die von Bäumen gesäumt sind.  Es herscht fast kein Verkehr.

Mein Morgenspaziergang in Goldap entpuppt sich als recht frustrierend. Es ist sehr kalt, und ich wünsche mir einen Kaffee. Leider ist aber keiner aufzutreiben. Alle Restaurants und Bars haben geschlossen. Und in den Bäckereien gibt es nur Brot und Kuchen.

Goldap wurde im Krieg fast völlig zerstört und bietet dementsprechend gar keine alten Sehenswürdigkeiten. Nicht mal Menschen sehe ich zu dieser Morgenstunde. Kein Wunder bei der Kälte! Ich beschließe, mich wieder auf den Weg zu machen und weiter Richtung Osten zu fahren, um zu sehen, was der Tag noch bringt.

In Zytkiemy, einem kleinen, verschlafenen Dorf, suche ich auch vergeblich nach einem Kaffee. Es ist wohl einfach noch zu früh. Es ist nun 06.45 Uhr und ich werde Herbert gleich mal anrufen. Sicherlich ist er in Gedanken bei mir, in seiner Heimat.

Eine Vollbremsung am frühen Morgen. Ein Hahn hätte es beinahe nicht mehr geschafft, seine Hennen vor mir in Sicherheit zu bringen. In letzter Sekunde Hüpft die Sippschafft hinter einen Ziehbrunnen

Hinter dem Dorf fällt mir auf, daß sich auf einmal die Architektur der Bauernhäuser verändert. Es sind nun recht schöne Holzhäuser, die das Bild prägen. Selbst eine Dorfkirche scheint komplett aus Holzbalken zu bestehen.

Nun sind auch die Pferdefuhrwerke sehr zahlreich. Das Ganze erinnert mich zunehmend an eine Modeleisenbahnlandschaft. So idyllisch wirkt alles. Aber die gemütliche Umgebung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Leben hier sicherlich sehr hart und entbehrungsreich ist. Die Entfernungen zwischen den einzelnen Dörfern wachsen.

Als ich durch das Gebiet der Rominter Heide fahre, gibt es für einige Kilometer gar keine Behausungen mehr. Mir wurde erzählt, daß hier irgendwo Hermann Göring seinen Bunker hatte.

Sich in diesem Grenzland zu bewegen, weckt in mir ein recht eigentümliches Gefühl. Ich muß ständig daran denken, wie oft die Grenzen verschoben wurden, und Menschen weichen mußten.

Die Straße von der polnisch-litauischen Grenze zum Städtchen Sejny führt durch eine Landschaft, die mich an das Allgäu erinnert. Hier und da eine Kuh (allerdings ohne Glocke), ein paar Büsche und Bäume, ansonsten nur hügeliges Weideland. Der Geruch von trockenem Gras liegt in der Nase.

Das kleine Grenzstädtchen Sejny, in dem ich gerade war, entpuppt sich als gemütliches Fleckchen in der Mitte von nirgendwo. Dem Reiseführer entnehme ich, daß all dies früher Sperrgebiet war. Auch heute gibt es nicht viel zu sehen.

Gott sei Dank hatte das einzige Restaurant im Ort geöffnet. Und ich bekam ein Frühstück. Spiegeleier mit Speck, Brot, Kaffee und Orangensaft. Ob man mich für einen Engländer hält?

Der Tag ist noch jung. Erst 09.40 Uhr, beschließe ich, den Nationalpark Wigierski Park Narod, zu besuchen. Wo mir Bartek (der Sohn des Hotelbesitzers) empfohlen hat, den Tag zu verbringen. Es gäbe dort einen Campingplatz, nebst kleinem Dorf. Sehr ruhig, an einem See gelegen, sagte er. Ich laße mich überraschen.

An einer Tankstelle halte ich an, um Mineralwasser zu kaufen. Der Tankwart (mit Blaumann und Schnauzer) bekundete Interesse an meinem Wagen. Wir kommen schnell ins Gespräch. Im Laufe dessen sich herausstellt, daß er diverse Land- und Straßenkarten zum Verkauf hat. Ich sollte nicht enttäuscht werden. Er hatte drei verschiedene Ukraine-Karten zur Auswahl. Ich habe mich für ein polnisches Fabrikat entschieden, das neben der Kyrilischen Schrift auch die Lateinische für zumindest die größeren Ortschaften beinhaltet. Eine solche Karte kostet in Polen umgerechnet 2€. Ein Bruchteil dessen was man in Deutschland ausgeben würde, und meiner Meinung nach qualitativ gleichwertig.

Die kleinen Bauernhöfe entlang der Straße sind sehr bunt. Alles wirkt angenehm unaufgeräumt. Die knochigen Obstbäume in den Gärten passen prima ins Bild. Blumen und Gemüsegärten, ab und an eine schnatternde Ente. Katzen und Hunde laufen über die Höfe. Eine Oma mit Kopftuch, die offensichtlich einkaufen war, geht ihres Weges.

Blauer Himmel, 28°C 10.30 Uhr morgens, das Wasser im See ist klar und kalt. Selbst wenn man weit raus schwimmt, kann man den Grund noch sehen.

Da liege ich also nun am Strand, lausche den Stimmen um mich herum und vernehme eine familiäre Tonlage! Nein, das ist kein Polnisch!

 

Das Viadukt von Stanziki (Staatshausen) ist eine wichtige Touristenatraktion

Paul hat, wie ich auch, seine Jugend in der kanadischen Provinz Britisch Columbien verbracht, und  ist zur Zeit auf Urlaub in Polen. Hier besuchten er und seine Familie die Verwandschaft seiner Frau, die in Suwalki wohnt. Wir kommen schnell ins Gespräch, und ich bekomme Tipps für die Weiterreise.

Das Auto habe ich auf einem bewachten Parkplatz abgestellt. Der Wächter (vom Typ Arnold Schwarzenegger) ist von meinem Wagen sehr angetan. Trotz seiner Größe meint er es sei das ideale Fahrzeug für ihn. Wenn er noch mehr auffallen will, als es ohnehin schon der Fall ist, dann hat er sicherlich recht.

Am Strandbad ist einiges los. Es gibt einen Kajak-Verleih, eine Imbissbude, Umkleidekabinen und Duschen. Alles macht einen sehr ordentlichen Eindruck. Keine Verpackungen oder Zigarettenstummel weit und breit.

Ich habe mich für ein schattiges Plätzchen unter einer Weide entschieden, vielleicht 20 Meter vom Wasser entfernt. So habe ich alles fest im Blick. Zu meiner rechten eine polnische Großfamilie, samt Großeltern, die -so scheint es mir- ihren gesamten Hausrat mitgebracht hatten.

Links kichernde Teenager, einheimische Bikinischönheiten und die dazu passenden Halbstarken. Das kenne ich von zu Hause, ist wohl überall auf der Welt das gleiche Bild.

Gerade vor mir spielen die Kinder der Großfamilie Fußball. Jungen und Mädchen vereint, aufgeteilt in zwei Teams. Die eine Mannschaft ist an orangen Schwimmflügeln zu erkennen.

Irgendwas ist... anders. Ich brauche eine Weile, bevor dem ich darauf komme. Kein Kind kreischt, niemand rennt über meine Decke, man achtet darauf, daß der Fußball mich nicht trifft. Irgendwie ist es ein wenig gesitteter als in Deutschland.

Jetzt habe ich einen Sonnenbrand. Ich konnte die Ruhe so sehr genießen, das ich die letzten zwei Stunden geschlafen habe. Völlig ausgetrocknet gehe ich zum Imbißstand.

Da es meine geliebten Piroggen nicht giebt, musst ich ausweichen. Meinem Vorsatz folgend,  einheimische Speisen zu essen, bestellte ich mit Hackfleisch gefüllte Klöße, und setzte mich auf die Terrasse zu Paul, der mit seinen Kindern zu Mittag ist.

Wir kommen schnell wieder ins Gespräch, und er erzählt mir ein wenig von sich. Er arbeitet in Ottawa für die kanadische Regierung, und hat dort seine aus Polen stammende Frau kennen gelernt. Die Ursprünglich aus Bialistok stammt. Mit Bus und Bahn reisen sie quer durch das Land.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees haben sie ein Häuschen gemietet und sind heute mit einem Kanu gekommen.

Nach einigem Smalltalk wenden wir uns der Frage zu, ob Kinder eine solche Reise zu würdigen wissen. Ich sage ihm, daß ich der Meinung bin, daß das zu viel verlangt ist. Erst mit zunehmendem Alter, wenn man sich erinnert, wird man von der Erfahrung zehren. Sein 9 jähriger Sohn spricht fließend drei Sprachen! Daß ihm auch die Kultur der Mütterlichen Heimat näher gebracht wird, finde ich sehr gut.

Im Schatten der großen Eiche, auf der Terrasse der Imbissbude sitzend vergeht die Zeit. Und als ich auf die Uhr schaue, ist es schon spät. Höchste Zeit mich auf den Weg zu machen. Ich werde jetzt über Suwalki zurück nach Stanziki fahren und Fotos machen.

Ich verlasse also den See mit seinem klaren Wasser und frage mich wann ich das nächste mal baden gehen werde. Ob ich es bis zum schwarzen Meer in Odessa schaffe? Oder gar Igoumenitsa in Griechenland? Noch weiß ich es nicht, aber ich zweifle ein Wenig angesichts der fehlenden 4000 Kilometer.

Im Dorf Przerosl kaufe ich Ansichtskarten. Die Dame auf der Post war -wie alle Beamten bislang- sehr hilfreich und freundlich. Sie hat mir den Feldweg vorbei an einem Teich Namens Botzna nach Stanziki gezeigt. Es ist ein wunderschöner See, grün schimmernd. Ein paar Autos parken am Wegesrand, ich sehe Picknicker.

Am Ende des Sees, gibt es eine kleine Wiese, auf der ich meinen SMART geparkt habe. Es gibt dort ein paar einheimische Camper und einen Hund, mit dem ich Freundschaft schließe.

Ein freundliches Pärchen (das Mädchen spricht fließend Englisch) bedeutete mir, daß sich von hier aus bis nach Stanziki nur 10 Minuten laufen würde. Deshalb habe ich meinen Wagen am Ende des Sees stehen gelassen und gehe  nun zu Fuß weiter. Ich will jetzt Herberts Grundstück finden.

Zu meiner linken liegen die drei Höfe, von denen er berichtet hat. An dem Ersten frage ich, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Ich habe so vieles gehört, das mir die Gegend schon vertraut ist. In der Entfernung sehe ich die beiden Viadukte.

Ich entschließe mich, Herbert noch mal anzurufen, um mich von ihm zu seinem Grundstück führen zu lassen. So lausche ich dem Handy, während ich gehe.

Vor meiner Abreise zeigte er mir ein Foto das sein Bruder für ihn aufgenommen hatte. Es zeigt ihn, wie er auf einem Acker steht.

Ich meine, genau diesen Hügel zu erkennen. Auf dem Feldweg sehe ich Trecker- und Fahrradspuren.

Fast am Ende des Weges ist eine Art Kiesgrube. Kurz davor rechts einen Findling. An der Sandgrube stehend schaue ich in Richtung der Viadukte, die aber durch Bäume und Hügel verdeckt sind.  Ich sehe Rauch. Anscheinend verbrennen Menschen hier ihren Müll. Der Weg geht immer noch weiter, entlang einer Wiese und durch ein kleines Wäldchen. Leider haben Menschen hier viel  Unrat abgeladen, „aus dem Weg und aus dem Sinn“.

Dann auf einmal stehe ich genau auf dem Fleckchen Erde, auf dem das Haus früher stand.

Direkt vor mir sehe ich die drei Höfe, wie von ihm geschildert. Über meine linke Schulter hinweg müsste nun der Badesee sein. Herbert sagt mir, daß er während der Krieges mit seinem Vater auf dem Scheitelpunkt des Hügels gesessen hat, um zu schauen, wie die Granaten abgefeuert wurden.

Selbst nach intensiver Suche finde ich kein Fundament. So bleibt mir keine andere Wahl als viele Fotos zu machen und mir die Umgebung einzuprägen. Ich sammle ein paar Steine, die ich als Erinnerungsstücke mitnehmen will. Ich habe eine Menge zu erzählen, wenn ich wieder in Deutschland bin.

Ich beende das Telefonat, und gehe wieder zu meinem Wagen. Nur vereinzelt sehe ich noch Camper. Der größte Teil hat schon zusammengepackt. Ich gehe noch einmal schwimmen, verabschiede mich von dem freundlichen Pärchen und mache mich dann auf den Weg zum Hotel.

Pferde gehören hier noch zum Alltag. Kein Hobby, sondern harte Arbeit...

Dort angekommen, wartet Bartek schon auf mich. Ich berichte ihm was ich den Tag über erlebt habe, und nach kurzer Zeit unterhalten wir uns.

Er ist 19 Jahre alt und studiert ab Herbst Mathematik an der Universität in Danzig. Er ist ein sehr aufgeschlossener, interessierter junger Mann. Ich gehe zu ihm an den Tresen und trinke ein Bier. Er will wissen, was ich den Tag über alles erlebt habe. Sein Vater kommt hinzu, der leider kein Englisch spricht. Nach einem schnellen Bier bestelle ich das Essen. Es gibt eine kalte Milchsuppe mit Gemüseeinlage, ein Schweineschultersteak und Salat. Alles schmeckt ganz prima. Ich trinke noch zwei Bier und die wirken auch schnell.

Ob ich denn wirklich in die Ukraine will, mit meinem Auto? Das sei doch ein so gefährliches Land!

Ich sage ihm, daß genau dies die Deutschen über Polen sagen.

Wir diskutieren weiter. Die momentane Situation in der Welt, die Probleme des Klimas und vor allem interessiert mich seine Sichtweise der Dinge in Polen, was die Gegenwart und auch die Zukunft betrifft.

Wie viele andere junge Menschen auch, ist er Pessimist. Ich verstehe das nicht so recht, und erkläre ihm, wieso ich seine Meinung nicht teile. Polen ist ein Land mit vielen jungen Leuten. Sie sind gebildet und weltoffen, liberal und arbeitswillig. Eigenschaften die ich im „Westen“ oft vermisse.

 

Ich sage ihm, daß ich die Zukunft Polens recht positiv sehe. Er freut sich darüber, teilt aber nicht meine Meinung.

Nach dem Essen muß ich noch erklären, wieso ich überhaupt hier bin. Vater und Sohn lauschen gespannt meinen Erklärungen. Ich bin überrascht, wie selbstverständlich sie sich mit mir über den Krieg und die Zeit danach unterhalten.

Zum Abschluß geben sie mir noch Empfehlungen für die morgige Fahrt. So planen wir eine Route entlang kleinerer Städte und Straßen. Ich bin gespannt.

Nun liege ich frisch geduscht in meinem Bett, habe einen Bierrausch und freue mich auf morgen.

Der beschauliche Ort Stanziki (Staatshausen) in dem Herbert aufgewachsen ist.
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