Dies ist ein Kulturland. Durch Kriege immer wieder zerstört und dem Einfluss der Eroberer ausgesetzt, haben manche versucht, den Polen ihre Kultur aufzuzwingen. Ob das gelungen ist, weiß ich nicht, ich bin ja kein Forscher. Aber die Besatzer haben ihre Zeichen hinterlassen. Ich denke, kein anderes europäisches Volk hat so gelitten wie das polnische. Auch heute sind die Zeichen noch stehts präsent. Als ich gestern einmal nach dem Weg gefragt habe, deutete man mir auf der Straßenkarte einen „Highway“ den schon die Deutschen gebaut hätten.
Dennoch habe ich nicht das Gefühl unwillkommen zu sein. Im Gegenteil, die Gastfreundschaft ist überschwänglich. Während meines letzten Besuches lernte ich -als ich mal wieder nach dem Weg fragte- einen Polizisten kenne, der Hals über Kopf seine Arbeit vergaß und sich mir als Reiseführer zur Verfügung stellte. Ich habe nicht abgelehnt. Die polnischen Steuerzahler mögen es mir verzeihen.
Die Kontakte sind hier zahlreicher, als das in Deutschland möglich wäre. Es ist leicht mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, und doch sind sie nie aufdringlich.
Ich genieße gerade ein einfaches Frühstück im Klosterkeller. Der altbekannte Kawa Normalni, Brot, Butter und Honig. Mehr würde es bei mir zu Hause auch nicht geben. Alles ist in ausreichender Menge da. Über einer zweiten Tasse plane ich mein heutiges Etappenziel. Es soll das winzige Dorf Stanziki werden. Ob ich es schaffe?
Stanziki ist ein Pflichtprogramm, das ich mir selber auferlegt habe. Früher zu Ostpreußen gehörend wuchs dort ein sehr guter Freund meiner Familie auf. 1945 geflohen ist er nie wieder zurückgekehrt. Und ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, diese Reise auch für ihn anzutreten. Auf dem heutigen Wege will ich fahren entlang an den Städten Malbork, Elblag, Fromborg über kleine Landstraßen nach Goldap und Stanziki. Wo es -so habe ich dem Internet entnommen- sogar ein Hotel geben soll, obwohl der Ort nur wenige Einwohner hat. Bevor ich mich jetzt allerdings auf den Weg mache, werde ich noch mal die Kathedrale erkunden.
09.20 Uhr unterwegs zwischen Malbork und Elblag. Ich komme gut voran auf dieser Bundesstraße. Schaffe im Schnitt 90 Stundenkilometer. Es ist eine große breite Allee und ab und an komme ich durch kleine Dörfer. Dort bietet sich ein ähnliches Bild wie auch schon gestern. Geschäftiges Treiben, die Menschen sind unterwegs zum Einkaufen, zur Kirche oder der Arbeit.
Ich nehme mir keine Zeit, um Malbork zu besichtigen. Wenn man so ausgedehnte Touren wie diese fährt, muss man Prioritäten setzten. Und ich bin froh, gestern auf eine kleine Stadt ausgewichen zu sein. Ich bin nun einfach kein Großstadtmensch.
Unterwegs am frühen Vormittag hätte es mich beinahe erwischt. Eine Kolonne von Autos -darunter auch Fiat 126 überholten mich. Ich bin mit 100 km/h auf dieser Allee schon gut unterwegs, aber es gibt auch schnellere. Nicht daß das in Deutschland nicht auch so wäre, aber da gibt es nicht so viele Bäume rechts und links des Weges. Diese lassen keine größeren Ausweichmanöver zu, sodaß ich bei nächster Gelegenheit wieder auf kleinere Landstraßen ausweichen werde, um diesem Risiko zu entgehen. Da ist das Fahren ohnehin wesentlich entspannter.
Die Landschaft wandelt sich nun wieder. Es ist nun ein sumpfiges Gebiet das ich durchfahre. Ein untrügliches Zeichen dafür, das ich mich der Küste nähere. Genauer gesagt dem Frischen Haff. In Fromburg will ich eine Pause machen.
Zwischendurch ein Wort zu den hiesigen Tankstellen. Ich fahre einen Diesel. Und diesen Kraftstoff zu bekommen ist eigentlich nie ein Problem. Im Zweifelsfall helfen da auch schon mal LKW-Fahrer gegen ein wenig Bares weiter. Aber ich sehe auch die Schilder für bleifreies Benzin. Das Tankstellennetz ist wesentlich dichter als in Deutschland. Die Preise bewegen sich unter denen in Deutschland. Und was das Angenehmste ist, die einheimischen Firmen bieten noch Service. Der Tankwart, der bei uns schon längst ausgestorben ist, gehört hier noch zum Straßenbild. Ich versuche die einheimische Wirtschaft zu unterstützen, und laße Westliche Mineralöl-Multis links liegen. Soweit ich das beurteilen kann, haben die hiesigen auch keinen schlechteren Sprit zu bieten.
Schade, daß ich kein Kurzwellenradio dabei habe. Ich würde gerne mal wieder Nachrichten hören, um zu erfahren, wie es um das Hochwasser steht.
Ich bilde mir ein, erkennen zu können, daß sich mich von Westeuropa entferne. Zunehmend verwandelt sich die Landschaft. Die gepflegten Dörfer und Städtchen werden nun seltener. Die Umgebung wirkt zuweilen ein wenig rau und naturbelassener als gestern. Auch ist der Zustand der Straße nicht mehr so gut.
Fast schon alltäglich und Routine ist das Interesse der Menschen an meinem PKW. Ich frage mich, ob es einen Unterschied machen würde, wenn ich das Land mit einem anderen Fahrzeug bereisen würde. Meine Ankunft bringt stehts ein Lächeln und Schmunzeln hervor.
Das Meer naht! Man riecht es ehe man es sieht. Noch nicht 10.00 Uhr morgens und schon 25°C. Ich spiele mit dem Gedanken, einen Pause einzulegen und mich ein Stündchen an den Strand zu legen.
Hier ist alles viel grüner als ich es mir vorgestellt hatte. Nachdem gestern die frisch gemähten Felder bis an den Horizont reichten, und das einzige Grün von kleinen Wäldchen oder den Bäumen an der Straße ausging, so kann ich im Moment vor lauter Bäumen den Himmel nicht mehr sehen. Rechts und links entlang der Straße ist der Wald zugewuchert.
Und dann, ganz plötzlich, steht das erste Pferdefuhrwerk auf dieser Reise vor mir. Alles ist genau so wie man es sich vorstellt. Das magere braune Pferd, der Heuwagen, der Kutscher mit Schnauzbart, Hut und Zigarette (er grüßt). In meinem Reiseführer steht, daß dies noch zum Alltag gehört. Aber es ist meine erste Begegnung in Polen. Ich bin schon gut 1000 km unterwegs, und ich frage mich, ob sie nicht vielleicht doch seltener geworden sind.
Die Schönheit dieser Alleen ist einfach überwältigend! Mir fehlen die Worte dafür.
Rund um das Gebiet des Frischen Haffs ist die Landschaft hügelig. Üppige Vegetation wohin man schaut. In den kleinen Tälern zwischen den Hügeln finden sich unzählige Obstgärten. Hier und da ist eine Kuh an einem Strick angebunden und weidet am Straßenrand auf einer Blumenwiese. Allen und Dörfer wechseln sich ab. Unter den Bäumen muß man mit Licht fahren, so dunkel ist es. Das Grün duftet zum Fenster hinein.
Schade, jetzt bin ich schon in Fromborg. Die letzten Kilometer waren herrlich! Ab und an blitzte die Sonne durch die Bäume.
Fromborg ist eines dieser Nester, bei denen ich mich immer frage wie die Menschen wohl überleben können. Natürlich, im Sommer sind es die Touristen, die das Geld bringen. Aber was ist außerhalb der Saison? Früher waren es der Hafen und die Fischer, aber heute?
Die gesamte Infrastrukturist auf den Tourismus ausgerichtet. Es gibt eine Fähre über das Haff. Im Hafen liegen ein paar Fischkutter. Restaurants und Souvenirgeschäfte prägen das Straßenbild. Ich profitiere von der Moderne und besuche ein -sonst wahrscheinlich nicht vorhandenes- Internetcafe.
Der Wetterbericht bringt gute Nachrichten! Keine Wolken, nur Sonnenschein. Auch mit meiner Familie kommuniziere ich. Welch' Wunder der Technik! Wer hätte das vor 10 Jahren für möglich gehalten?
Dann suche ich noch das Postamt auf und schaue mir das Städtchen an. Auf der Parkbank des Rynek sitzend, belausche ich eine Reisegruppe deutscher Touristen. Dem Vernehmen nach handelt es sich um Ostpreußen oder deren Kinder, die nach vielen Jahren wieder in ihre Heimat bzw. die der Vorfahren reisen.
Die Gespräche sind ein Mischmasch aus fröhlichen Erinnerungen an die Kindheit und Enttäuschung darüber, wie das Land und die Stadt heute aussehen.
Als man meinen PKW entdeckt und mich mit ihm in Verbindung bringt, ist es mit der Anonymität wieder vorbei. Irgendwie hab' ich wohl schon einen SMART-Stempel auf der Stirn.
Ein Bauarbeiter spricht mich auf den Wagen an, und läßt mich erst ziehen als ich ihm mit Handzeichen auch das letzte Detail erklärt habe. Er gab sich mit allen Antworten zufrieden, aber der Preis des SMART's war ihm dann doch zu hoch. Außedem, so sagte er, sei der Wagen für Polen nicht geeignet, weil es so gut wie keine Singles gäbe. Und familienfreundlich sei er ja nicht gerade.
Von Fromborg soll es nun weitergehen in Richtung Goldap, durch das Gebiet der Masurischen Seen.
Ganz entgegen meiner schlechten Gewohnheit, nicht rechtzeitig zu pausieren, halte ich am nächsten Restaurant! Es ist eine Pizzeria. Heute also mal keine einheimische Kost. Für wenig Geld genieße ich eine sehr gute Salamipizza, sitze auf der Terrasse des Lokals und schaue den Passanten nach. Es ist heiß unter dem Reklamesonnenschirm. Wie viele polnische Restaurants, so ist auch dieses ein Selbstbedienungsrestaurant. Und wie so oft habe ich wieder den Fehler gemacht mich erst hin zu setzten und auf den Kellner zu warten, der nicht kommen will. Zwei junge Frauen am Nachbartisch gestikulieren in Richtung Tresen, und jetzt versteh' ich.
Kurz hinter Fromborg überquere ich die ehemalige Reichsautobahn 1, die in Richtung Kaliningrad führt. Ich weiß nicht, ob sie noch befahren wird, ich vermute jedoch das Gegenteil, denn ich sehe kein Fahrzeuge unter mir. Nur ein wenig Unkraut hier und da. Auf der Karte sehe ich dann, daß sie ins Niemandsland führt. Zwischen Polen und Russland hört sie einfach auf.
Ohnehin ist dieses nördliche Gebiet Polens recht spärlich besiedelt. Je näher man der Grenze kommt, desto seltener werden die Dörfer. Ich frage nach und erfahre, daß das noch aus kommunistischen Zeiten her so ist. Die Machthaber hatten Angst vor zu vielen Menschen an der potentiell so problematischen Grenze zum „Bruderstaat“.
So hat man nach 1945 Häuser und sogar ganze Dörfer niedergerissen, um die Grenzen zu „sichern“. Auch wurde das Land hier nicht mehr bewirtschaftet. Mit den Jahrzehnten hat sich so ein Dorado für die Natur entwickelt. Der Wald den ich jetzt gerade durchfahre ist zugewuchert. Und ich kann nur erahnen, wieviel Wild es hier geben mag. Ich sehe allerdings keines.
So sehr hat mich die Landschaft gefangen genommen, daß ich gar nicht bemerke, das ich Kraftstoff brauche. Recht schnelle Fahrt entlang der Alleen, ein Durchschnitt von ca. 80 hm/h mit Klimaanlage. 3,75l Diesel auf 100 km.
Die Alleen wollen einfach nicht enden. Das ist auch gut so, denn ich kann mich nicht satt sehen.
Ich bin immer wieder überrascht wie viele junge Menschen unterwegs sind. Ob das an den Ferien liegt? Mütter mit Anhang gehen einkaufen. Viele Jungs bleiben vor meinem Wagen stehen und zeigen mit dem Finger drauf. Selbst die coolen Halbstarken blicken hochachtungsvoll. Zum Teil werde ich mit Lichthupe begrüßt!
Es geht nun weiter die Allee entlang. Rechts und links der Straße gibt es Wiesen und darauf weiden Kühe. Hier und dort sehe ich Störche. Ich musste 32 Jahre alt werden um einen Klapperstorch live zu hören! Neben meinem Auto herfliegend klapperte er laut und deutlich mit dem Schnabel.
Ein Wort zum Verkehr. Es gibt so gut wie keinen, wenn man einmal von den großen Fernstraßen absieht. Auf Nebenstraßen hingegen kommt man sehr gut voran. Ich schaffe ohne weiteres einen Schnitt von 80 Stundenkilometern. Oft gibt es für viele Minuten keinen Gegenverkehr.
In Lidzbark Warminski brauche ich erst mal einen Kaffee. Ich habe noch ca. 300 km Fahrt vor mir und es ist jetzt 14.00 Uhr. Eigentlich wollte ich ja entlang der Masurischen Seen einen Strand finden um einen Mittagsschlaf zu halten, aber daraus wird wohl nichts.
Dem aufmerksamen Leser ist sicherlich nicht entgangen, daß ich große Distanzen fahre und viel Zeit in meinem Auto verbringe. Ich bin mal gefragt worden, was ich suche, wenn ich Reise. Oder ob ich vielleicht auf der Flucht bin. Ich musste selber erst mal darüber nachdenken. Nun bin ich zu dem Schluss gekommen, daß es keines von beidem ist. Das Gefühl unterwegs zu sein, sich zu bewegen, ist es, was ich suche. Einfach nur fahren, oder aber zu Fuß durch eine Stadt gehen, die Gegend rechts und links des Weges zu beobachten, das ist es. Ich wünsche keinen Luxus, suche nicht die guten Hotels. Der Weg ist das Ziel. Das hört sich abgedroschen an, stimmt aber trotzdem.
15.07 Uhr, ich habe nun meine ersten 1000 km Polen hinter mir. 1000 km Alleen, und ich habe gar nicht erwähnt, was es außer Bäumen und Wiesen noch so alles zu sehen gibt. Nun als erstes fällt auf, das halb Polen mit dem Fahrrad unterwegs ist. Und das obwohl die Gegend, durch die ich in den letzten zwei Tagen gefahren bin, recht hügelig ist. Außerdem scheint es mir nicht sicher bei den schlechten Sichtverhältnissen unter den Bäumen. Alle paar Kilometer sehe ich Kapellen am Wegesrand. Ausgeschmückt mit Fähnchen oder Plastikblumen. Hinter zugewucherten Blumenvorgärten verbergen sich schmucke kleine Häuschen. Gemütlich sehen sie aus mit den großen Fenstern. Ab und an muß ich scharf bremsen, weil Enten, Hühner oder Gockel die Straße passieren wollen. Andere Hindernisse sind Hunde, Katzen, betrunkene Passanten so wie Kinder, die des öfteren am Wegesrand sitzen oder spielen und im Wald gesammelte Pilze und Blaubeeren verkaufen.
Rechts und links entlang der Straße blitzt die Sonne durch die Bäume. Ein untrügliches Zeichen, ich habe das Gebiet der Masurischen Seen erreicht. Am Straßenrand sehe ich jetzt viele Hinweisschilder: Hotel, Restaurant, Zimmer frei. Landschaftlich ist diese Gegend sehr reizvoll. Romantisch würde ich sagen. Die kurvigen Straßen um die Seen herum führen in kleine Dörfer und Stadtchen, für die ich mir leider heute keine Zeit nehmen kann. Denn der See und das Dörfchen, in das ich will, sind noch ca. 100 km entfernt.
Mehr und mehr Radfahrer sind nun unterwegs. Zum Teil schwer bepackt, mit Zelt, Rucksack und Radtaschen. Überhaupt sehe ich viele Camper. Wie es mir scheint, die ideale Art und Weise, dieses Land zu bereisen. Zu Fuß oder per Fahrrad hat man vielleicht eher die nötige Muße, und kann diese einmalige Kulturlandschaft genießen. |